Brigitte Schwaiger : Wie kommt das Salz ins Meer

Erfrischend boshaft und immer noch aktuell

Neulich [2006] beim Ausmisten meines völlig überladenen Bücherregals: Mir fällt ein schmales Bändchen in die Hand, ein Roman, den ich vor Jahrzehnten gelesen habe. Hat er immer noch so eine faszinierende Wirkung wie damals? Ich lese hinein – ich lese mich fest. Brigitte Schwaigers „Wie kommt das Salz ins Meer“ vermag immer noch zu fesseln. Das Buch wurde ganz zurecht vor einigen Jahren neu aufgelegt.

Bei seinem Erscheinen Ende der 70er Jahre wurde der Roman im Kontext der Frauenbewegung gelesen und als prominenter Beispieltext der so genannten „Frauenliteratur“ gefeiert. Die Ich-Erzählerin berichtet darin vom Scheitern ihrer Ehe, die nicht wegen Gewalt oder Verrat in die Brüche geht, sondern wegen mangelnder Sensibilität, missglückter Kommunikation und unerfüllter Träume.

Vordergründig sind es auch ein zu rigides bürgerliches Korsett und konventionelle Rollenerwartungen, die der jungen Ehefrau schier die Luft zum Atmen nehmen. Aber wenn man den Text nur mit dieser Sichtweise läse, dann wäre er in der Tat nicht mehr sehr aussagekräftig, denn weibliche Lebensentwürfe sind heute weit vielfältiger als in den 1970ern und die kinderlose Nur-Hausfrau ist ein Auslaufmodell geworden.

Den Namen der jungen Frau erfahren wir an keiner Stelle. Auch das hat natürlich Aussagewert: Als Person ist sie kaum greifbar, sie ist gleichsam durchsichtig, hat keinen festen Boden unter den Füßen und keinen festen Standpunkt in allen Dingen des wirklichen Lebens. Den hat dafür ihr Mann, der im Quasi-Schwebezustand seiner Frau nicht ihre Stärke erkennt, sondern sie schlicht und einfach als unreif bezeichnet. Er ist zuständig für die Versorgung, für das Geradlinige, für die Antworten. Sie stellt hauptsächlich Fragen, in seinen Augen aber nicht die richtigen. Denn sie sieht die Welt unkonventionell, fast wie ein Kind, und entsprechend fallen ihre Fragen aus: „Wie kommt das Salz ins Meer?“

Mit ihrer scheinbar unbedarften Beobachtungsgabe trifft die Erzählerin ins Mark verlogener Gesellschaftsstrukturen. Keine der Personen ihrer Umgebung ist glücklich. Die weiblichen Figuren sowieso nicht: Sie alle scheinen die Maxime verinnerlicht zu haben, dass eine Frau zwar ein Leben in relativer Sicherheit haben kann, ein erfülltes Leben als gleichberechtigte Partnerin dadurch aber in unerreichbare Ferne rückt.

Karl, ihr Jugendfreund, ihr am ehesten geistesverwandt, ist ein ewiger Außenseiter und verfällt der Alkoholsucht. Albert, der Geliebte, in dessen Arme sich die Ich-Erzählerin schließlich flüchtet, entpuppt sich recht bald als kleingeistiger Bequembürger, der überhaupt nicht daran denkt, seine eingefahrene Lebensspur zu verlassen. Und Rolf, ihr Ehemann, möchte sich seiner problematischen Frau am Ende eigentlich nur entledigen, so wie man sich von einem ungeliebten Kleidungsstück trennt, das eigentlich nie so richtig gepasst hat.

Nicht nur in seiner psychologisch getönten Sozialkritik ist der Roman in vielen Details erstaunlich aktuell, zeitlos ist vor allem seine literarische Kraft. So naiv der Ton, so ätzend ist mitunter die Bloßstellung verkrusteter Strukturen. Der berühmte österreichische Schriftsteller Friedrich Torberg lobte in seiner Besprechung Brigitte Schwaigers Humor, „der unter dem Deckmantel einer geradezu infamen Scheinheiligkeit um so spritziger zusticht“, und ihren kritischen Scharfblick, „der zu den schönsten Hoffnungen auf allerlei Hässliches berechtigt.“ Genau darin lag und liegt das Vergnügen an dieser Lektüre!

 

Brigitte Schwaiger: Wie kommt das Salz ins Meer. Roman. Orig. 1977
neu aufgelegt im Verlag Langen/Müller 2003. 160 Seiten.

Besprechung vom Juli 2006

Sabine Skudlik