Angelika Schrobsdorff : „Du bist nicht so wie andre Mütter.“ Die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau

Eine leidenschaftliche Frau
Angelika Schrobsdorff über die abenteuerliche Geschichte ihrer Mutter

Das Buch „Du bist nicht so wie andre Mütter“, ist – 1992 erschienen – nicht mehr ganz neu und vielleicht vielen Leserinnen und Lesern schon bekannt. Für mich war es beim Wiederlesen faszinierend und bewegend wie beim ersten Mal. Und darüber hinaus, viele Jahrzehnte nach Kriegsende, unerhört aktuell!

Angelika Schrobsdorff erzählt darin das Leben ihrer Mutter Else, einer ungewöhnlichen Frau, die, 1893 als Tochter jüdischer Eltern in Berlin geboren, von früh an durch unbändige Neugier, ungezähmte Lebens- und Abenteuerlust und von der unbezwingbaren Sehnsucht nach dem „ganz anderen“ umgetrieben wird. Dieses „ganz andere“ erhofft sie sich von der Ehe mit einem christlichen Mann, die ihren Eltern allerdings vollkommen undenkbar erscheint. Sie aber folgt der Stimme ihres Herzens, verlässt eines Morgens die elterliche Wohnung und heiratet den Mann ihres Lebens.

Nach fünf Jahren Ehe, sie hat inzwischen einen Sohn, muss Else jedoch entdecken, das dieser Mann sie laufend betrügt. Eine Welt bricht für sie zusammen, aber aus den Trümmern geht sie mit einer neuen Lebensphilosophie hervor. Sie gestattet ihrem Mann seine Freiheiten - und sich die ihrigen. Sie verkehren im Künstler- und Intellektuellenmilieu, gehen ins Theater und in die Oper, feiern rauschende Feste. Am Ende der wilden 20er Jahre, die sie in vollen Zügen genießt, hat Else drei Kinder - und zwar gemäß ihrer Aussage: „Man muß von jedem Mann, den man liebt, ein Kind haben.“.

Vor den politischen Veränderungen, die sich längst anbahnen und ab 1933 Realität werden, verschließt man die Augen. Man findet die Nazis widerwärtig und primitiv, aber man nimmt sie auch nicht so richtig ernst. So lange nicht, bis es fast zu spät ist.

Erst nach dem Pogrom vom November 1938 sieht Else ein, dass sie als Jüdin in Deutschland nicht bleiben kann. Unter abenteuerlichen Umständen kommt sie nach Bulgarien ins Exil, und dort hat sie nicht nur unter kargen Lebensbedingungen und dem Verlust von Familie und Freunden zu leiden. Das zweite Leben Elses könnte sich nicht krasser von ihrem ersten unterscheiden. Kurz und bündig so ausgedrückt: „Man wünschte sich Glück, Gesundheit, Frieden und ein langes Leben. Nichts von all dem sollte Else beschieden sein.“

Angelika Schrobsdorff, Elses jüngste Tochter und Autorin dieses Lebensberichts, wurde 1927 geboren. Sie erzählt nicht nur von der Zeit, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter verbracht hat (auch die acht Jahre in Bulgarien), sondern auch von der Zeit davor. Ihre Quellen sind Gespräche mit langjährigen Freunden und Freundinnen ihrer Mutter, Familienerinnerungsstücke und zwei Kartons, die sämtliche schriftlichen Hinterlassenschaften ihrer Mutter und ihres Bruders enthielten. „Nimm das und mach was draus!“ Mit diesen Worten wurde der Autorin dieser Schatz übergeben.

Und was hat sie daraus gemacht! Diese romanhafte Lebensgeschichte versteht sie so lebendig und gleichzeitig so straff zu erzählen, dass man das Buch nicht anders als verschlingen kann. Mal ist es umwerfend komisch, und ein andermal wieder anrührend, dabei vollkommen ohne Pathos. Im Gegenteil, der lakonische Stil ist hier geradezu Programm. Schließlich geht es darum, das schillernde und am Ende so tragische Leben der eigenen Mutter zu erzählen, ohne dabei in Rührseligkeit zu verfallen, und gleichzeitig die eigene Entwicklung vom Kind zur erwachsenen Frau mitzuteilen. Das tut Angelika Schrobsdorff in rückhaltloser Offenheit und Ehrlichkeit. Sie zitiert einen Brief ihrer Mutter, in dem diese ihre jüngste Tochter als „zornig, kalt und hart“ beschreibt, und fügt selbst hinzu: „Ich war von einem überempfindlichen Kind zu einer unerbittlichen Frau herangewachsen.“

Das Porträt ihrer Mutter, aus dem Abstand vieler Jahre geschrieben, spricht indes eine andere Sprache. „Wenn man eine Mutter an ihrer Pflichterfüllung maß, dann war sie eine schlechte Mutter. Wenn man sie aber an ihrer Liebe maß, dann war sie die beste Mutter der Welt. Sie liebte ihre Kinder mit einer brennenden Liebe. War das nicht genug? War das nicht entscheidender als Pflichterfüllung?“

 

Angelika Schrobsdorff: „Du bist nicht so wie andre Mütter.“ Die Geschichte einer leidenschaftlichen Frau.
Hoffmann und Campe Verlag Hamburg 1992. dtv-Taschenbuch Bd. 11916. 557 Seiten.

Besprechung vom März 2005

Sabine Skudlik