Bernard Schlink : Die Frau auf der Treppe
Geheimnisvolle Frau - nackt
In Bernhard Schlinks neuem Roman bleiben etliche Versprechen unerfüllt
Die Hauptperson in dem neuen Roman von Bestseller-Autor Bernhard Schlink ist eigentlich ein Gemälde. „Ema (Akt auf einer Treppe)“, das bekannte Bild des berühmten deutschen Malers Gerhard Richter, war (nach eigenem Bekunden des Autors) Inspiration und zündender Funke für die Romanhandlung, die sich Schlink für seinen jüngsten Erfolgsroman ausgedacht hat.
Der Konflikt um die fiktive Frau, die für das Gemälde Modell gestanden hat, ist das Movens, das die Romanhandlung vorantreibt. Ihr Ehemann, der das Bild in Auftrag gegeben hat, und der Maler, dessen Geliebte die Frau wird, geraten in Streit. Ein junger Anwalt, der Ich-Erzähler, soll die Sache regeln, verliebt sich aber pikanterweise in die Frau und wird zu ihrem Komplizen. Die Wege aller trennen sich, das Bild verschwindet, und als es 40 Jahre später plötzlich in der Art Gallery im fernen Sydney ausgestellt wird, bricht die alte Geschichte bei allen Beteiligten wieder auf und führt zu einem Showdown quasi am Ende der Welt. In der Rückschau müssen sich alle über ihre Rolle klar werden, die sie in der damaligen Konstellation gespielt haben. Noch mehr aber müssen sie sich über die Rolle klar werden, die sie im Leben spielen wollten und es vielleicht nicht vermochten.
Mehr soll zur Handlung hier nicht verraten werden. Sie ist gekonnt konstruiert: einerseits plausibel, andererseits nicht geradewegs vorhersehbar, so dass man als Leser:in schnell in diesen gewissen Sog gerät, den gut ausgedachte Geschichten haben. Man will immer noch um die nächste Biegung mitgehen, um zu sehen, ob es so weitergeht, wie man es zu ahnen glaubt.
Soweit ist „Die Frau auf der Treppe“ ein sehr typischer Schlink. Das gilt auch für den Stil: Das vertraute Schlink-Parlando, die einfach konstruierten Sätze, die passgenauen Kurz-Charakterisierungen, die in wenigen Strichen eine Person oder eine Situation umreißen, so dass man sich im Setting gleich zuhause fühlt – all das, was man aus den früheren Romanen und Erzählungen von Bernhard Schlink kennt und schätzt, begegnet einem in diesem Buch wieder.
Bei diesem Stoff allerdings hat es mich nicht gänzlich befriedigt. Es geht schließlich um teils recht kurvenreiche Lebenswege, um Identitätsfindung, um das Schicksal, das seine Fäden webt, um die Frage „Wer bin ich?“ oder vielmehr „Wer hätte ich werden können?“.
Andeutungen einer Vergangenheit im Untergrund, die Erwähnung von Familienmitgliedern, zu denen der Kontakt abgerissen ist, der Verweis auf eine Ehe, in der die Nähe gefehlt hat – mit all dem werden verlockende Binnengeschichten eröffnet, die im Kontext dieser Romanhandlung allerdings leere Schablonen bleiben. An Schlinks Romanen wird oft ihre Kürze und Prägnanz gelobt. Hier allerdings ist es des Knappen zu viel.
Wer elegant geschriebene und leicht zu konsumierende Unterhaltungsliteratur mag, wird hier auf seine Kosten kommen. Wer sich für die Biografien von Menschen interessiert, und seien es Romanpersonen, wird das Buch am Ende ein wenig ratlos zur Seite legen. Zu viele Andeutungen dienen nur dem logischen Gerüst der Handlung, ohne selbst vertieft zu werden.
Das, was bei Gerhard Richters Gemälde „Ema“ die Fantasie anregt, nämlich das Verschwommene, Schemenhafte, Hintergründige, wirkt in Schlinks Roman wie ein Bündel uneingelöster Versprechen und stutzt der Fantasie die Flügel.
Bernard Schlink: Die Frau auf der Treppe. Roman. Diogenes Verlag Zürich 2014. 245 Seiten.
Besprechung vom November 2014