Irene Dische : Großmama packt aus

Drei starke Frauen
Irene Disches Familiensaga aus Oma-Perspektive

„Großmama packt aus“, ist der etwas reißerische Titel eines Romans, der allerdings hält, was er verspricht: Die Autorin Irene Dische leiht ihrer (wirklichen) Großmutter ihre Stimme und lässt sie erzählen: nämlich das Leben von Frauen aus mehr als drei Generationen, natürlich auch von den dazugehörigen Männern. Diese Familiengeschichte beginnt in Deutschland und Schlesien, verlagert sich aber in den dreißiger Jahren ins New Yorker Exil. Denn der Mann der Chronistin, der fidelen Rheinländerin Elisabeth geb. Gierlich, Dr. Carl Rother, ist Jude, und dass er vor der Eheschließung zum Katholizismus konvertiert, schützt ihn nicht vor der Verfolgung durch die Nazis.

Das zunehmend eingeschränkte Leben im „Dritten Reich“, Carls geglückte Flucht in die USA  und die Ermordung von dessen gesamter Familie, also Ereignisse, die mit den Schrecknissen des 20. Jahrhunderts aufs Engste verknüpft sind, werden genauso undramatisch erzählt wie die Turbulenzen innerhalb der eigenen Familie. Ja, man hat den Eindruck, dass der eigene kleine Familienkosmos, z.B. die ständige Aufregung um die begabte, aber renitente Tochter und die Kapriolen der Enkeltochter diese Großmama viel mehr umtreiben als alle weltgeschichtlichen Ereignisse.

„Es ist Frauensache, dafür zu sorgen, dass die Familie ihr Niveau hält. Männer sind nicht stark genug. Die Frauen müssen aufpassen, dass sie nicht aus der Reihe tanzen, auch nicht aus der Ahnenreihe.“ Fest verwurzelt in ihren Meinungen und Prinzipien, schonungslos offen in deren Kundgabe, schnoddrig und bisweilen schmerzhaft treffsicher im Ton, so schwadroniert diese Frau über ihr bewegtes Leben.

Als sie in reiferem Alter in etwas ruhigeren Fahrwassern fährt, geht es dafür bei Tochter Renate (die sich dreimal verheiratet, und dreimal ausgerechnet mit jüdischen Männern) und später bei Enkeltochter Irene drunter und drüber. An allem nimmt die Großmama lebhaften Anteil und lässt ihre Leser ebenfalls daran teilnehmen – natürlich nur aus ihrer Sicht der Dinge.

Dass damit (laut Klappentext) die Autorin das ewige Problem der Autobiographie gelöst hätte, ist allerdings nur ein schlauer Spruch. Gerade in den Passagen, wo die Großmutter von Irene Disches pubertären Abenteuern erzählt und von ihren Eskapaden in der Hippie- und Weltenbummler-„Szene“ (ganz gleich, ob diese nun tatsächlich so stattgefunden oder sich mehr in Großmamas Phantasie abgespielt haben), hat der Roman seine schwächsten Seiten. Denn die Notwendigkeit dieser Gewichtsverlagerung erschließt sich nicht. Auch wenn Großmama immer wieder beteuert, wie ähnlich ihr doch ihre Enkeltochter sei.

Man könnte diesem Roman noch andere Dinge vorwerfen. Zum Beispiel, dass die durchgehende Oma-Perspektive nicht gerade abwechslungsreich ist. Und dass die Erzählerin, immer wenn sie vom „Hundertsten ins Tausendste“ gerät und man gerade hier auf die Konstanten der Familienkonstellation gespannt wird, ihre Leser vertröstet: „Dazu später mehr.“ Dieser Hinweis wird geradezu als „running gag“ eingesetzt und hat natürlich Methode: Man ist dieser resoluten Großmama eben hoffnungslos ausgeliefert – und genießt dies als Leser/in durchaus!

Denn eines kann man dem Roman keinesfalls zum Vorwurf machen: Langeweile. Und das ist schon mal ein sehr großer Pluspunkt. Ein zweiter ist die strikte, in der Generationenabfolge fest verankerte Frauenperspektive. Denn im Grunde handelt das Buch ja hauptsächlich von Müttern und ihren Töchtern, die selber wieder Mütter von Töchtern werden. Um diese lebenslange, Sinn und Verwirrung stiftende, schwere und leichte, von allen Emotionen zwischen Liebe und Hass begleitete Beziehung geht es. Und gipfelt in dem schönen Schlusssatz: „Wirklich, es geht nichts über eine Tochter.“

Irene Dische: Großmama packt aus. Roman. Aus dem Amerikanischen von Reinhard Kaiser. Hoffman und Campe Verlag Hamburg, 2005. 365 Seiten.

Besprechung vom Januar 2006

Sabine Skudlik