Markus Werner : Am Hang
Wie lange währt die Liebe?
Antworten darauf in Markus Werners Roman „Am Hang“
Zwei Männer, zwei Frauen. Zwei Paare, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie sind Gegenstand des Romans „Am Hang“ des Schweizer Autors Markus Werner. Die Handlung, oder vielmehr die unterschiedlichen Handlungsstränge, werden dem Leser nur über die Unterhaltung der beiden Männer mitgeteilt. Diese treffen sich rein zufällig auf der Terrasse des Hotels Bellevue. Der eine, Clarin, ist Anwalt und eigentlich zum Arbeiten übers Pfingstwochenende ins Tessin gefahren. Weil er einen Aufsatz über die Geschichte des Schweizer Scheidungsrechts schreiben will, kommen sie in ein Gespräch über das Thema Ehe und langfristige Bindungen. Clarin macht kein Hehl daraus, dass er eine gelungene Ehe für ein Ding der Unmöglichkeit hält. Zu oft hat er Streitereien am Ende einer Ehe als Scheidungsanwalt aus nächster Nähe mitbekommen. Er singt das Lob der oberflächlichen, nicht auf Dauer angelegten Beziehungen, worin er offenbar reiche Erfahrung hat.
Der andere, Loos, trauert aber gerade seiner Frau nach und seiner glücklichen Ehe mit ihr. Er spricht zwar weit ausholend und tief schürfend, gibt aber zunächst wenig von sich preis. So bleibt es am ersten der beiden Abende, die die beiden auf der Hotelterrasse verbringen, mehr bei grundsätzlichen Erörterungen zum Thema Liebe und Beziehungen, gewürzt mit einer guten Portion Gesellschaftskritik, zu der vor allem Loos mit vernichtenden Urteilen tendiert, während Clarin, offenbar seiner Natur nach, die Dinge nicht zu ernst nimmt und nicht zu einer pessimistischen Weltsicht neigt wie Loos.
Das Gespräch wird im Nachhinein von Clarin aufgezeichnet und durch seine Gedanken, seine Kommentare und Einschätzungen ergänzt. Loos ist nur durch das zu (be)greifen, was er von sicht gibt, und das ist mitunter etwas seltsam und orakelhaft. Gerade deswegen geht eine ominöse Faszination von ihm aus, die sich nicht nur auf Clarin, sondern sogleich auch auf die Leserin überträgt. Ganz abgesehen davon, dass die Schlagfertigkeit und der Witz, mit dem beide Gesprächspartner ihre Unterhaltung würzen, die Lektüre sehr kurzweilig macht.
Am zweiten Abend wird die Unterhaltung schon persönlicher. Loos erzählt viel von seiner Frau, deren Todestag sich zu dieser Zeit jährt und mit der er sich vor Jahresfrist just in diesem Hotel aufgehalten hat. Auch Clarin hat persönliche Erinnerungen, die ihn mit diesem Ort verbinden, denn er hat eine seiner (kurzfristigen) Beziehungen auf dieser Terrasse beendet. Loos zeigt ein deutliches Interesse an dieser Geschichte. Und man ahnt natürlich als Leser:in, dass die Verbindung zwischen den beiden Protagonisten doch auf irgendeine Weise über die Zufallsbekanntschaft hinausgeht und vielleicht sogar etwas mit den jeweiligen Partnerinnen zu tun haben muss.
Das Ende ist überraschend, was immer man/frau gemutmaßt haben mag. Unwillkürlich beginnt man das Buch noch einmal von vorne zu lesen und ist erstaunt, auf wie unterschiedliche Arten man doch Wörter und Sätze verstehen kann, die man schwarz auf weiß gedruckt sieht und deren Aussage ganz eindeutig zu sein scheint.
Markus Werner: Am Hang. Roman. S. Fischer Verlag Frankfurt, 2004. 190 Seiten.
Besprechung vom September 2005