Alexander Rösler : Ich bin nur mal kurz mein Glück suchen… Neues vom Taugenichts

„Und es war alles, alles gut!“
Romantik und Postmoderne gehen wunderbar zusammen

Joseph von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ ist eines der schönsten literarischen Prosawerke der Romantik. Die durchaus erträgliche Leichtigkeit des Seins wird hier exemplarisch vorgeführt – mit aller Ernsthaftigkeit, derer der jugendliche Held fähig ist. Denn dieser ist ja gerade kein Taugenichts, als den ihn der Vater schilt, sondern er ist die Inkarnation des romantischen Lebensgefühls: auf den Augenblick bedacht, der eigenen Einbildungskraft folgend und seiner Intuition vertrauend, schwärmerisch, voller Hingabe, naturverliebt, den Menschen zugewandt, mutig und entschlossen in unübersichtlichen Situationen, der Nacht und dem Mondenschein verbunden…

Eigentlich ließe sich der romantische Geist wunderbar an diesem Text aufzeigen, aber dem steht entgegen, dass die Novelle häufig als Pflichtlektüre in Schule und Studium gelesen wird. Pflichterfüllung und romantische Befindlichkeit stehen in einem unauflöslichen Widerspruch zueinander.

Das empfindet auch der Protagonist in einer modernen Adaption von Alexander Rösler. „Ich bin nur mal kurz mein Glück suchen…“ – so lauten der Titel des Buches und die Devise eines Achtzehnjährigen unserer Tage, der sich, ohne lange zu überlegen, beim mütterlichen Haushaltsgeld bedient und sich mit einem altmodischen Rucksack auf den Weg macht. „Mach endlich was, tu was Sinnvolles, lauf wenigstens irgendwohin und mach irgendwas von Nutzen.“ So hat ihn sein Vater reichlich genervt angeblafft, und der Sohn steht auf und nimmt den Vater beim Wort. Sein Blick auf das zeitgemäße Spießertum seiner näheren Umgebung (in der Romantik hießen die Spießer noch Philister) ist niemals aggressiv, eigentlich sehr freundlich und behutsam, aber dennoch unverstellt ehrlich. Im Rucksack steckt nur das Allernötigste – ein Handy gehört nicht dazu – und so beginnt die Wanderschaft hinter dem elterlichen Gartenzaun.

Mit dem Glück des Optimisten, der genauen Beobachtungsgabe dessen, der sich Zeit nimmt und der spontanen Kontaktfreudigkeit des Einzelgängers gelingt es ihm traumwandlerisch mühelos, sich durchzuschlagen. Immer wieder finden sich lauschige Schlafplätze, ein Fluss oder eine Regentonne zum Waschen, Gelegenheitsjobs und freundliche Helfer in schwierigen Situationen. Und natürlich bekommt seine Wanderung, wie in der romantischen Vorlage, bald Richtung und Ziel durch eine Frau, die im Handumdrehen den prominentesten Platz in seinem Herzen erobert, jedoch unerreichbar und plötzlich auch unauffindbar zu sein scheint. Wie er durch schier unglaubliche Zufälle ihre Spur entdeckt, wieder verliert und aufs Neue findet, das ist im allerbesten Sinne romantisch. Turbulent geht es zu, die unwahrscheinlichsten Verwicklungen bekommen plötzlich eine plausible Wendung, der Fortgang der Geschichte bleibt immer schwebend auf dem schmalen Grat zwischen Wunderlichkeit und Wahr-Scheinlichkeit. Der letzte Satz lautet bei Eichendorff und bei Rösler identisch: „Und es war alles, alles gut!“

Ähnlich wie in den 70er Jahren Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ eine unverkrampfte Begegnung vor allem jugendlicher Leser mit Goethes Werther ermöglichte, so könnte auch Röslers „Neues vom Taugenichts“ (so der Untertitel) neugierig machen auf Eichendorffs originären Anti-Helden. Die Parallelen sind unaufdringlich und diskret platziert, die pädagogische Absicht – wenn überhaupt – nur implizit zu spüren. Erstaunlich ist, wie bruchlos sich das romantische Lebensgefühl in sogenannte „postmoderne“ Befindlichkeit übertragen lässt. Das zeigt, wie virulent der Geist der Romantik auch in unseren Tagen immer noch ist (auch wenn man ihn so nicht benennt) und erklärt das Lesevergnügen, das Alexander Röslers Buch Leser:innen jeden Alters bereiten kann.

 

Alexander Rösler: Ich bin nur mal kurz mein Glück suchen… Neues vom Taugenichts.
Arena Verlag Würzburg 2008. 136 Seiten.

Besprechung vom Juni 2010

Sabine Skudlik