Rüdiger Safranski : Romantik. Eine deutsche Affäre
Über Romantik und das Romantische
Als Epoche der Romantik bezeichnet man in der Literatur- und Geistesgeschichte jene Zeit um die Wende zum 19. Jahrhundert, in der die subjektive Einbildungskraft und die Hinwendung zum Verborgenen, Dunklen, Wundersamen, vor allem aber die Beschäftigung mit Kunst und Literatur eine beispiellose Rangerhöhung erfuhren. Vorbereitet wurde diese Aufbruchsstimmung unter den jungen Dichtern und Denkern in Deutschland von der literarischen Strömung des Sturm und Drang einerseits und den politischen Veränderungen infolge der Französischen Revolution andererseits.
Die Romantik war vor allem eine deutsche „Erfindung“. So sehr gewann sie an Einfluss und Strahlkraft auch in anderen europäischen Ländern, dass sie von außen betrachtet häufig verallgemeinernd mit deutscher Kultur gleichgesetzt wurde – und es bis heute wird.
Als literarische und geistesgeschichtliche Strömung war die Epoche der Romantik um 1820 schon an ihr Ende gelangt. In den anderen Künsten – in der Musik zum Beispiel – gelangte sie erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts zur vollen Blüte.
Der romantische Geist indessen blieb lebendig und taucht als einflussreiche und sich stets neu erfindende Denkfigur bis weit ins 20. Jahrhundert immer wieder auf.
So zumindest sieht das Rüdiger Safranski, Privatgelehrter und vielfach preisgekrönter Autor – bekannt auch aus diversen Fernsehsendungen. Kaum einer kann deutsche Geistesgeschichte so elegant und gleichzeitig lehrreich nacherzählen wie er. Safranskis Belesenheit und Wissen scheinen schier unerschöpflich zu sein. Schiller, der Freundschaft Schillers mit Goethe, E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer, Nietzsche und Heidegger hat Safranski bereits große Biografien gewidmet. Er kennt also die Denkwege sehr genau, die zur Romantik hinführen und in denen der romantische Geist weiterlebt.
Deutsche Geistesgeschichte ist gewiss kein einfacher Gegenstand. Aber sie wird aus dem Rückblick heraus verständlich, wenn sie in große Zusammenhänge gestellt wird: in philosophiegeschichtliche, politische und soziale Zusammenhänge. Safranski versteht es, die entscheidenden Argumente aus den Schriften der Romantiker herauszulesen und zusammenzufassen, sie mit biografischen Fakten und mitunter auch mit Anekdoten aus dem Lebensalltag zu verknüpfen, Parallelen und Geistesverwandtschaft zwischen Autoren zu entdecken, selbst wenn diese sich nicht explizit aufeinander beziehen. All dies präsentiert er mit der ihm eigenen sprachlichen Eleganz, so dass die Auseinandersetzung mit Philosophiegeschichte auch für denjenigen, der sich nicht alle Tage mit solchen abstrakten Themen beschäftigt, zum reinen Lesevergnügen wird – vom Erkenntnisgewinn ganz zu schweigen.
„Die Romantik ist eine glänzende Epoche des deutschen Geistes, mit großer Ausstrahlung auf andere Nationalkulturen. Die Romantik als Epoche ist vergangen, das Romantische als Geisteshaltung aber ist geblieben. Es ist fast immer im Spiel, wenn ein Unbehagen am Wirklichen und Gewöhnlichen nach Auswegen, Veränderungen und Möglichkeiten des Überschreitens sucht. Das Romantische ist phantastisch, erfindungsreich, metaphysisch, imaginär, versucherisch, überschwenglich, abgründig. Es ist nicht konsenspflichtig, es braucht nicht gemeinschaftsdienlich, ja noch nicht einmal lebensdienlich zu sein.“
Nach meiner Safranski-Lektüre habe ich meine eigene romantische Sehnsucht neu entdeckt und Lust bekommen, Novalis und Brentano, Eichendorff und Heine wieder zu lesen - und nun auf neue Weise zu verstehen. Ein größeres Kompliment kann man Safranski als Vermittler nicht machen.
Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre. Carl Hanser Verlag München Wien 2007. - als Fischer TB 2009. 415 Seiten.
Besprechung vom Juli 2010