Tom Saller : Wenn Martha tanzt
Das Bauhaus tanzt!
Historischer Rahmen für einen kurzweiligen Roman
2019 wird das 100-jährige Gründungsjubiläum der legendären Weimarer Kunst-, Design- und Architekturschule „Bauhaus“ gefeiert, einer damals völlig neuartigen Ausbildungsstätte, da sie die Zusammenführung von Kunst und Handwerk anstrebte und nicht nur die bildende, sondern auch die darstellende Kunst mit einbezog.
„Der Künstler ist eine Steigerung des Handwerkers“ schrieb Gründungsdirektor Walter Gropius in seinem Bauhaus-Manifest. Dementsprechend wurden die lehrenden Künstler und Künstlerinnen „Meister“ genannt. Nur wenige Jahre war das Bauhaus in Weimar ansässig. 1925 zog die Schule nach Dessau um, 1932 nach Berlin, und 1933 wurde die Institution durch die Nationalsozialisten, denen das freiheitliche und international ausgerichtete Denken und Arbeiten von vorneherein suspekt gewesen war, zur Selbstauflösung gezwungen.
Am Weimarer Bauhaus lässt der Autor Tom Saller in seinem Debutroman „Wenn Martha tanzt“ seine fiktive Titelheldin einige Jahre studieren. Martha wird 1900 in einer pommerschen Kleinstadt geboren, ihr Vater ist Unterhaltungsmusiker, leitet eine Kapelle und unterrichtet zahlreiche Schüler. In einem sehr liebevollen Umfeld, gefördert vor allem vom Pianisten der Kapelle, Wolfgang, einem engen Freund des Hauses, wächst Martha behütet und mit allen Freiheiten auf. Ihr Vater Otto hält sie, bei aller Liebe, für unmusikalisch und attestiert ihr das Gehör einer Gießkanne. Wolfgang ist es, der Marthas besonderes Talent erkennt und sie ermutigt, es auszuleben. Martha kann Musik nämlich sehen, und wenn sie die Musikstücke, die sie hört, „mitschreibt“, dann stehen nicht Noten auf dem Papier, sondern geometrische Formen in bestimmten Konstellationen. Martha ist, auch wenn es im Roman so nicht genannt wird, eine Form der „Synästhesie“ zu eigen. Aber wohin mit dieser seltsamen Gabe?
Wolfgang ermutigt sie, gleich 1919, kurz nach Gründung des Bauhauses, sich an dieser Schule zu bewerben. Schließlich sind auch dort geometrische Grundformen zentrales Element des künstlerischen Ausdrucks. Walter Gropius nimmt sie auf und beobachtet ihre Entwicklung mit Interesse, Johannes Itten nimmt sie unter seine Fittiche. Über einige Umwege landet Martha schließlich bei Gertrud Grunow, am Bauhaus Meisterin für „Harmonisierungslehre“, die sich mit dem Verhältnis von Farbe, Form und Ton beschäftigt – und unter Grunows Leitung entdeckt Martha die Umsetzung von Musik in tänzerische „Form“. Sie wird Ausdruckstänzerin!
Die Bauhaus-Meister und Mitstudenten beobachten fasziniert den Werdegang des „Fräulein Wetzlaff“. Ein Notenheft, ein Geschenk Wolfgangs, das Martha als eine Art Tagebuch benutzt und immer bei sich trägt, wird ab und zu durch Skizzen und Zeichnungen verschiedener Bauhaus-Meister – von Klee bis Kandinsky – bereichert, die Martha beim Tanzen zusehen.
Und hier setzt die Rahmenhandlung an. Um die Jahrtausendwende entdeckt nämlich Marthas Urenkel die Kladde in einem alten Rucksack seiner verstorbenen Großmutter. Erst kann er fast nicht glauben, was er da in Händen hält, schließlich aber wird ihm klar, welch unschätzbaren Wert das Büchlein besitzt – und lässt es bei Sotheby’s in New York versteigern. Und so nimmt die Romanhandlung Fahrt auf, Binnen- und Rahmenhandlung nähern sich einander an, und so manche unvorhergesehene Wendung erhöht die Spannung im Fortgang der Geschichte.
Vielleicht ist es manchmal ein Dreh zu viel, denn etlichen verwandtschaftlichen Verbindungen, die nicht so sind, wie sie scheinen, kann der Autor in der Fülle der Ereignisse gar nicht nachgehen, und so bleibt manches unausgeführt, was sich vielversprechend angedeutet hat.
Die Sprache ist in beiden Handlungssträngen schlackenlos: kurze Sätze, keine Schnörkel, vereinzelt mal ein treffendes Sprachbild. Den Dialogen kommt das sehr zugute und es strafft den Fortgang. Aber auch hier gilt: Vielleicht wäre weniger Knappheit von Vorteil gewesen.
Dennoch bereitet diese geschickt montierte Geschichte ein schönes Lesevergnügen. Denn der historische Hintergrund, offenbar eingehend recherchiert, bietet oft genug schicksalhafte Ankerpunkte für die Romanhandlung. Die Aufbruchsstimmung der Weimarer Republik, das Auftauchen studierender und berufstätiger Frauen, die drohenden Vorzeichen des Nationalsozialismus, schließlich die Schrecken des 2. Weltkriegs und Fluchtgeschichten – all dies bietet eine Dramatik, die man nicht besser hätte erfinden können. Irgendwie scheint der Autor Teile seiner eigenen Familiengeschichte in den Roman verwoben zu haben. Aber das bleibt nur Andeutung…
Die historischen Personen in diesem Roman, allen voran die Bauhaus-Meister, die heute längst als Protagonisten der Klassischen Moderne in die Kunstgeschichte eingegangen sind, werden in ihrer Menschlichkeit und mit ihren liebenswerten Eigenarten gezeigt – nicht zuletzt das macht dieses Buch als „Bauhaus-Roman“ lesenswert.
Tom Saller: Wenn Martha tanzt. Roman. List im Ullstein-Buchverlag 2018. 287 Seiten
Besprechung vom Januar 2019