Bernhard Schlink : Selbs Justiz | Selbs Betrug | Selbs Mord

Ein Selb-Porträt der Wirklichkeit
Bernhard Schlinks Trilogie um den Privatdetektiv Gerhard Selb

Wenn ein Ermittler im Auflösen kriminalistischer Verwicklungen erfolgreich ist, dann bleibt es selten bei einem einzigen Fall. Wenn ein/e Autor/in eine gelungene Figur erfunden hat, einen „Commisario Brunetti“ oder einen Wallander oder wie sie alle heißen, der sich der Leserschar als lebendig gestaltete Person ins Gedächtnis gräbt, dann bleibt es selten bei einem einzigen Buch.

Bernhard Schlinck, der mit seinem Roman „Der Vorleser“ großen internationalen Erfolg hatte, hat so eine Figur geschaffen. Keinen Kommissar im Dienste der Polizei, sondern einen Ermittler im Dienste privater Kunden: Privatdetektiv Gerhard Selb, dessen Nachname sich für die viel versprechenden Buchtitel „Selbs Justiz“, „Selbs Betrug“ und „Selbs Mord“ so wunderbar eignet.

Gerhard Selb, studierter und promovierter Jurist, hatte als Staatsanwalt unter den Nationalsozialisten eine kurze Karriere - und war nach 1945 für den Staatsdienst nicht mehr tragbar. Also verlegt er sich auf „private Ermittlungen“, und als wir Leser ihm zum ersten Mal begegnen („Selbs Justiz“ erschien 1987), ist er schon 68, tritt ein bisschen langsamer und nimmt nicht mehr jeden Auftrag an.

Die Aufträge, die ihm dann aber in den drei Bänden angetragen werden, entpuppen sich jeweils recht bald als Fälle von weit mehr als nur privater Relevanz. Jedesmal führen Selbs Ermittlungen geradewegs hinein in Ereignisse von großer historischer oder politischer Tragweite. Und jedesmal wird Selb von seiner eigenen Vergangenheit eingeholt, die er unter höchst zwiespältigen Gefühlen mit sich herumträgt. Das ist ein Teil der Kunst von Autor Bernhard Schlinck, wie sie sich auch in seinem Welterfolg „Der Vorleser“ darstellt: dass er auf höchst geschickte Weise eine private Geschichte in eine historische Dimension einbettet; und das nicht mühsam konstruiert, sondern sehr glaubwürdig, fast nebenher und ganz selbstverständlich.

Ein anderer Aspekt von Schlincks großer Kunst ist seine Sprache, sein Erzählduktus. Er ist dem Leser immer genau einen Satz voraus. Schlink setzt seine Informationen wohl dosiert, nicht zuviel und nicht zuwenig, gerade so, dass man immer schön in Spannung gehalten wird und nur ja nicht nachlässig werden darf, denn sonst entgeht einem ein Detail, das sich im Nachhinein als wichtig entpuppt. Detektiv Selb geht nicht immer planmäßig vor in seinen Ermittlungen, sondern lässt sich oft von seinem Instinkt leiten. Und als Leser ist man immer einen Schritt hinterher!

Der Privatdetektiv mit juristischer Ausbildung und guten Kontakten zur Polizei hält sich auch nicht immer an Regeln und Gesetze, sondern mogelt sich mehr als einmal daran vorbei. Er tut dies keineswegs leichten Gewissens! Das macht einen Teil der Spannung aus, die sich nicht immer nur in einem verwickelten Plot erschöpft, sondern auch in den Skrupeln und Gewissensnöten des Aufklärers, kurz in Selbs Zweifeln.

Zum Glück hat Gerhard Selb auch ein sympathisches Privatleben, an dem er uns offenherzig teilhaben lässt. Er lebt allein mit Kater Turbo, hat einige gute Freunde, mit denen sich wunderbar philosophieren und gleichermaßen intelligent blödeln lässt, und die im Bedarfsfall auch mal in die Ermittlungen eingebunden werden. Denn einer von ihnen ist Hauptkommissar bei der Polizei, ein anderer Chirurg und Frauenheld. Den Frauen ist auch Gerhard Selb auf sehr charmante Weise zugetan und im ersten Band der Trilogie findet er auch tatsächlich eine Freundin, Brigitte.

Dieses in allen Bänden wiederkehrende Personal wie auch die jeweils fallbezogenen Figuren werden vom Autor mit den knappen Worten seines Ich-Erzählers Gerhard Selb so treffend charakterisiert, dass man sich sofort mitten drin in der bunten Gesellschaft wähnt. So sind drei Romane für wunderbar kurzweiliges Lesevergnügen auf hohem Niveau entstanden, die sich für die Bezeichnung „Krimi“ nicht schämen müssten.

Bernhard Schlinck: Selbs Justiz. Roman (1987) | Selbs Betrug. Roman (1992) | Selbs Mord. Roman (2001).
Alle im Diogenes Verlag, Zürich

Besprechung vom Oktober 2003

Sabine Skudlik