Christian Nürnberger : Keine Bibel

Unterschiedliche Blicke auf die Bibel

Glaubt man Umfragen, so ist der Kenntnisstand darüber, was an Weihnachten eigentlich gefeiert wird, ziemlich dürftig. Manche wissen etwas von einer Geburt im Stall und verweisen aufs Jesuskind. Prägnanter sagen manche: „Gott wird Mensch“! Aber was heißt das? Und was hat das mit dem Stall und dem Jesuskind zu tun?

Ein Blick in die Bibel könnte Aufschluss geben, aber ist die Bibel nicht furchtbar dick und die Sprache antiquiert und schwer verständlich? Und warum braucht es ein Altes und Neues Testament und warum gibt es unterschiedliche „Bücher“ in der Bibel? Da stoßen selbst „Eingeweihte“ manchmal an die Grenzen ihres Durchblicks.

Wer es genauer wissen will, sich aber scheut, die Bibel von vorne bis hinten zu lesen, dem sei „Keine Bibel“ empfohlen! So der Titel eines sehr lesenswerten Buchs des Publizisten Christian Nürnberger, der die Bibel in einer furiosen „tour de force“ nacherzählt. Nicht alle Geschichten, aber die wichtigsten – kurz und knapp auf den Punkt gebracht.

Zwischendurch erlaubt er sich Zwischenrufe oder Zwischenfragen, die sich dem Leser oder der Leserin selbst meist auch schon aufgedrängt haben, und ordnet damit das Gelesene in einen größeren Zusammenhang ein. Das ist überhaupt sein großes Verdienst: Nürnberger, selbst studierter Theologe, legt den roten Faden frei, der sich durch die Texte zieht, erklärt Zusammenhänge und den Übergang vom Alten zum Neuen Testament und erhellt besonders die Verwurzelung des Christentums im Judentum.

Er schreibt in einer heutigen, pointierten Sprache, ohne Inhalte zu vereinfachen oder sich anzubiedern. Er transformiert die Inhalte der Bibel in ein geradezu spannendes Lesebuch!

 

Einen ganz anderen Blick auf die Bibel und insbesondere Luthers epochale Übersetzungsleistung ermöglichen die „Wartburg-Tagebücher“. 1521 verbrachte Luther – exkommuniziert, mit der Reichsacht belegt und für vogelfrei erklärt – mehrere Monate auf der thüringischen Wartburg und versteckte sich hier als „Junker Jörg“ vor der Öffentlichkeit. Die Zeit nutzte er für die Übersetzung der Bibel und begann in seiner noch heute zu besichtigenden Schreibstube mit dem Neuen Testament.

Damit wurde nicht nur die Verkündigung des Glaubens auf eine neue Stufe gehoben, sondern auch die deutsche Sprache. Kaum jemandem ist heute noch bewusst, welche großartige Bereicherung der deutsche Wortschatz und die bildkräftige Ausdrucksweise durch Luther erfahren hat. Morgenland, Herzenslust, Feuereifer, Geizhals, Lückenbüßer, Übeltat und nicht zuletzt die Nächstenliebe – alles „Worterfindungen“ von Luther! Durch die relativ rasche Verbreitung der deutschen Luther-Bibel hatte sie außerdem einen immens sprach-einigenden Effekt.

500 Jahre später, im Herbst 2021, wurden drei deutsche Schriftsteller auf die Wartburg eingeladen, um sich jeweils für vier Wochen mit Luthers Übersetzung und dem Ort ihrer Entstehung auseinanderzusetzen, dem Genius loci nachzuspüren und ihre eigene dichterische Arbeit damit zu konfrontieren.

Die dabei entstandenen Texte von Iris Wolff, Uwe Kolbe und Senthuran Varatharajah sind vereinigt in dem Sammelband „Der Augenblick nennt seinen Namen nicht“. Eine Fundgrube für Liebhaber der deutschen Sprache und ihrer Vielfalt, für Leser:innen, die sich für die Feinheiten literarischen Schreibens interessieren, und nicht zuletzt für Menschen, die sich mit der Bibel und ihren Inhalten immer wieder neu auseinandersetzen wollen!

 

Christian Nürnberger: Keine Bibel. Gabriel-Verlag Stuttgart 2020. 238 Seiten.

Iris Wolff, Uwe Kolbe Senthuran Varatharajah: Der Augenblick nennt seinen Namen nicht. Wartburg-Tagebücher. Otto Müller Verlag Salzburg-Wien 2022 und Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 2022. 167 Seiten.

Dazu ein sehr anregender Hörfunkbeitrag vom 21.12.2021, nachzuhören unter: https://www.mdr.de/kultur/radio/wartburg-experimente-100.html

Besprechung vom Dezember 2022

Sabine Skudlik