Christoph Poschenrieder : Mauersegler
Aug in Aug mit dem Todesengel
Fünf fröhliche Alte auf dem Weg ins Grab
Ein lustiges Buch, das sich mit dem Altern und dem Sterben befasst? Das geht. Christoph Poschenrieders „Mauersegler“ ist über weite Strecken durchaus komisch, mitunter sehr weise, abgeklärt, und auf jeden Fall überaus unterhaltsam.
Fünf Freunde, ehemalige Schulkameraden, beschließen, eine Alten-WG aufzumachen. In ihrem aktiven Leben haben die fünf Männer in unterschiedlichen Branchen erfolgreich agiert – „wir gutaussehenden, braungebrannten Erfolgstypen. Alphawölfe. Überholspurfahrer“ – und zwar als Jurist bei einem großen Versicherungskonzern, als Lebensmitteltechnologe, als Programmierer bzw. Softwareunternehmer, als Theaterregisseur und Intendant sowie als philosophisch angehauchter Journalist. Letzterer unternimmt es, als Chronist das Treiben der fünf Senioren in ihren letzten Lebensjahrzehnten aufzuzeichnen und ist der Ich-Erzähler im Roman.
Ein sechster ist immer mit dabei, unsichtbar gewissermaßen. Er ist als kleiner Schuljunge auf dem Heimweg von einem ihrer gemeinsamen Nachmittage auf dem Dorfweiher im Eis eingebrochen und ertrunken, ein tragischer Unglücksfall, dessen genauer Hergang nie genau aufgeklärt werden konnte und als offenes Geheimnis auch über der Beziehung der verbliebenen Fünf schwebt. Der Tod hat die Freunde also von Jugend auf begleitet. Gemeinsam wollen sie ihm auch jetzt begegnen. Jeder soll den Zeitpunkt seines Todes selbst bestimmen können und, wenn er möchte, einen der WG-Freunde als „Todesengel“ auswählen, der ihm mithilfe eines schnell und sicher wirkenden Gifts beistehen soll – ohne dass sie voneinander wissen, wer wem wann womöglich hilft. Auch nicht der Software-Spezialist unter ihnen, der das Programm dafür entwickelt.
Sich das auszudenken, bereitet den fünf Helden ein launig-makabres Vergnügen – denn als die Idee geboren wird, sind sie allesamt noch fitte und fröhliche Silver-Ager. Eventuell noch vorhandene Ehefrauen werden großzügig abgefunden. Einzige weibliche Mitbewohnerin der luxuriösen Seniorenresidenz – der Beschreibung nach klingt es nach Starnberger Seegrundstück, man hat ja schließlich ordentlich verdient und kann sich allen erdenklichen Luxus leisten – wird eine kirgisische Pflegerin, als bei dem ersten von ihnen die Kräfte schwinden.
Um es vorweg zu nehmen, es kommt alles ein wenig anders, als man meint. Aber am Ende sind sie natürlich alle tot. Bis dahin hat man/frau als Leser:in die fünf Herren recht gut kennengelernt, mit all ihren liebenswerten Eigenheiten, und man hat auch aus rasant-sarkastischer Beschreibung etwas über die Lebenswelten erfahren, in denen sie als „Alphawölfe“ tätig waren. Nicht zuletzt aus diesen Passagen, in denen sämtliche Klischees bedient und fröhlich überdreht werden, bezieht der Roman seinen Unterhaltungswert.
Der Autor Christoph Poschenrieder, ein studierter Philosoph, hat vor einigen Jahren als bellestristischen Erstling einen vergnüglichen Schopenhauer-Roman veröffentlicht (s. Besprechung von “Die Welt ist im Kopf”) und die Liebe zu diesem misanthropischen Denker mag man auch hier mitunter zwischen den Zeilen erahnen. Nicht zuletzt daraus bezieht dieser neueste Roman seine Tiefe.
Er ist ganz gewiss keine verkappte Abhandlung über das Thema Sterbehilfe und will es auch gar nicht sein. Vielmehr geht es darum, wie man die letzte Lebenszeit zubringt und im besten Fall in Beziehungen mit Gleichgesinnten lebt, die ähnlich denken und fühlen wie man selbst. In den letzten Jahren sind etliche Romane und auch Kinofilme zu diesem Thema erschienen, insofern fügt sich „Mauersegler“ perfekt in einen derzeit herrschenden Mainstream.
Die Balance zu halten zwischen ironischer Behandlung und durchaus nachdenkenswerten Aspekten der Themen Alter und Vergänglichkeit, die Verknüpfung mit einer stetig fortschreitenden, zunehmend spannenden Romanhandlung, gepaart mit virtuoser Formulierungskunst - das ist Christoph Poschenrieder ziemlich gut gelungen. Keine Selbstverständlichkeit, er ist Jahrgang 1964.
Christoph Poschenrieder: Mauersegler. Roman. Diogenes Verlag Zürich 2015. 220 Seiten.
Besprechung vom April 2016