Daniel Kehlmann : Ruhm

Geschichten, die sich selbständig machen
Fiktionalität auf mehreren Ebenen in „Ruhm“ von Daniel Kehlmann

Daniel Kehlmann, der 2005 mit „Die Vermessung der Welt“ einen Welterfolg vorlegte, veröffentlichte 2009 mit „Ruhm“ einen „Roman in neun Geschichten“. Die einzelnen Geschichten handeln in gewisser Weise alle von der Spannung zwischen realer und erfundener Welt, in die wir alle, nicht nur als Leser von fiktiver Literatur, eingebunden sind.

Da ist zum Beispiel ein Techniker, der sich nach langem Sträuben endlich ein Handy zulegt, er bekommt aus Versehen die Nummer eines berühmten Schauspielers zugeteilt, steigt nach anfänglicher Verwirrung in das Spiel ein und übernimmt dessen Rolle. In einer anderen Geschichte erleben wir mit, wie besagter Schauspieler plötzlich keine Anrufe mehr bekommt, dafür mit absurden Vorwürfen konfrontiert wird (die der andere verursacht hat) und die Gelegenheit nützt, aus seinem Schauspieler-Leben, dessen er ohnehin überdrüssig ist, auszusteigen.

Ein bekannter Schriftsteller (das alter ego des Autors?) taucht gleich in mehreren der neun Geschichten auf. In diesen verdichtet sich die Verquickung von realer und fiktiver Welt am meisten, das Spiel verselbständigt sich, bis der Schriftsteller schließlich die Deutungshoheit über seine eigenen literarischen Erzeugnisse verliert.

Und noch eine andere Figur taucht häufig auf: ein Autor weichgespülter Lebensratgeber (unschwer als Parodie auf Paulo Coelho zu enttarnen), der in einem hellsichtigen Moment seine ganze schriftstellerische Produktion als große weltanschauliche Seifenblase erkennt, die ihm allerdings Ruhm und unermesslichen finanziellen Erfolg beschert hat. Urkomisch auch die Parodie eines Internet-Junkies, der in einem einschlägigen Forum seine Bekenntnisse und Ansichten ausbreitet und dabei unfreiwillig das Scheitern seines Lebens kundtut.

Jede einzelne der neun Geschichten liest sich bei aller Komplexität leicht und mit großem Vergnügen. Was aus dieser Abfolge jedoch einen „Roman“ macht, abgesehen davon, dass die meisten Protagonisten jeweils in mehreren Geschichten eine unterschiedliche Rolle spielen, ist nicht auf Anhieb ersichtlich. Es bleibt dem Leser überlassen, manches Rätsel im Verlauf der Lektüre zu lösen, Querverbindungen herzustellen, überraschende Wendungen erst mit Verspätung zu verstehen. Oder auch in Geschichten einzutauchen, die (scheinbar) nicht Daniel Kehlmann, sondern seine Figur des oben erwähnten bekannten Schriftstellers erfunden hat.

Das kann man in seiner etwas vertrackten Kunstfertigkeit bewundern, man kann es auch bleiben lassen. Die Geschichten bereiten auch Freude, wenn man nur auf der obersten Rezeptionsebene bleibt. Aber, so der Autor selbst in einem Werbevideo des Verlags, die „Fiktionalität auf mehreren Ebenen“ hat nicht nur ihm als ihrem Konstrukteur Spaß gemacht, sondern sollte auch dem Leser zusätzlichen Lesegenuss bereiten.

Derzeit werden sechs der neun Geschichten verfilmt – der Kinostart ist geplant für das Frühjahr 2012. Man darf gespannt sein, wie sich die verschlungenen Querbeziehungen zwischen den Geschichten in der filmischen Umsetzung verwirklichen lassen.

 

Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten. Rowohlt Verlag, Reinbek b. Hamburg, 2009. 208 Seiten.

Besprechung vom November 2011

Sabine Skudlik