Daniel Kehlmann : Lichtspiel
Großes Kino
Georg Wilhelm Pabst ist die zentrale Figur in Daniel Kehlmanns Roman „Lichtspiel“. Pabst war einer der berühmtesten Regisseure der Weimarer Republik (neben Fritz Lang und F. W. Murnau). Er versuchte nach der Machtergreifung durch die Nazis in Hollywood Fuß zu fassen, was ihm aber nicht gelang. Über die Schweiz kehrte er, aus Sorge um die erkrankte Mutter, ins heimatliche Österreich zurück, inzwischen als „Ostmark“ an das Deutsche Reich angeschlossen. Dann begann der Krieg, und an eine erneute Ausreise war nicht mehr zu denken.
Was tut ein Künstler, der weiter seiner Arbeit nachgehen will? Er arrangiert sich. Und verbiegt sich immer mehr. Das zeichnet Kehlmann nach, indem er die oben skizzierten historischen Fakten durch Fiktion anreichert. Er erschafft sozusagen „großes Kino“ mit literarischen Mitteln.
In einer zentralen, gespenstisch anmutenden Szene wird Pabst zu Propagandaminister Goebbels zitiert (der auch als Produzent bei der gleichgeschalteten Ufa fungierte und damit die Filmindustrie kontrollierte). In dessen überdimensional großem Büro kommt es zu einem Gespräch, das den Namen nicht verdient, weil der Minister Pabst diktiert, was er zu sagen hat und was nicht. Und auch, was er in Zukunft zu tun hat, nämlich das Seinige beizutragen „für den Aufbau eines neuen Deutschland“.
Trude, Pabsts Frau, verfällt dem Alkohol angesichts dieses künstlerischen und moralischen Elends. Jakob, der gemeinsame Sohn, ein sensibles, zeichnerisch begabtes Kind, lernt aus schierem Überlebenswillen, sich durchzusetzen. Seine Beobachtungsgabe hilft ihm, sich sehr schnell anzupassen und es dauert nicht lang, da ist er ein linientreuer Jung-Nazi – zum Entsetzen der Eltern.
Großartig, wie Kehlmann diese und viele andere Figuren psychologisch klug entwirft und agieren lässt. Wie im Film arbeitet der Autor mit abrupten Schnitten oder Wechseln der Erzählperspektive. Das verstärkt die häufig bedrohlich aufgeladene Atmosphäre, den Eindruck der mangelnden Bewegungsfreiheit (im konkreten und übertragenen Sinn) und des Überwachtseins im totalitären Staat. Allerdings schmälert dies auch die erzählerische Kohärenz.
"Kunst ist immer unpassend. Immer unnötig, wenn sie entsteht. Und später, wenn man zurückblickt, ist sie das Einzige, was wichtig war." Das sagt G.W. Pabst im Roman einmal zu einem Schauspieler. Wie man sich die Verhältnisse doch schönreden kann!
Daniel Kehlmann: Lichtspiel. Roman. Rowohlt Verlag Hamburg 2023. 480 Seiten.
Besprechung von Dez. 2024