Doris Knecht : Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe

Im Juli (2023) frisch erschienen ist Doris Knechts Roman „Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe“. Die österreichische Autorin ist offenbar „Kult“ bei einer großen Fan-Gemeinde, nicht zuletzt durch ihre wöchentlichen Kolumnen (seit 2000) in mehreren österreichischen Zeitungen, etwa dem „Falter“ oder den „Vorarlberger Nachrichten“.

Seitdem ihr Roman „Gruber geht“ 2011 für den Deutschen Buchpreis nominiert war, ist sie auch hierzulande einem großen Publikum bekannt. Für mich war die Lektüre des o.g. Titels die erste Begegnung mit dieser Autorin.

Es geht in diesem Buch um die Befindlichkeit einer alleinerziehenden Mutter, deren beide Kinder, Zwillinge, im Begriff sind, nach dem Schulabschluss das elterliche „Nest“ zu verlassen, was die Mutter ebenfalls zu einer Neuorientierung zwingt. Denn die große Wohnung wird sie sich in Zukunft, nach Wegfall der Unterhaltszahlungen, nicht mehr leisten können.

„Empty nesters“ – das ist mittlerweile ein feststehender Begriff in der Psychologie der Lebensmitte. Manche Mütter/Väter freuen sich auf den neuen Lebensabschnitt, in dem sie von der täglichen Sorge und Erziehungsarbeit zumindest ansatzweise entlastet sind, andere sehen diesem Zeitpunkt mit Bangen entgegen.

Für die Ich-Erzählerin dieses Romans – und man muss es im Kopf behalten: Es ist ein Roman, wenn auch offenbar autofiktional gefärbt! – bietet es Anlass für allerlei Überlegungen, lebenspraktischer, vor allem aber auch grundsätzlicher Art, und auch für viele Erinnerungen an den eigenen Auszug aus dem Elternhaus vor Jahren. All dies darf assoziativ in kurzen Kapiteln vor sich hin mäandern. Offenbar hat sich das kleine Format der Kolumne für Doris Knecht als praktikabel auch für einen Roman erwiesen.

Und es ist ausgesprochen gut gelungen. Die Überlegungen und skizzierten Alltagsbegebenheiten wirken wie spontan hingetuscht, aber es ist anzunehmen, dass sie einer wohlüberlegten Komposition folgen. Genial etwa, wie sich im Kapitel „Eine Liste von Dingen, die ich verloren habe“ lauter kleine Mikro-Erzählungen entwickeln und Personen mit kurzer Erwähnung eingeführt werden, die an anderer Stelle wieder auftauchen.

Alles fügt sich auf harmonische Weise, nicht nur im Leben der Erzählerin, sondern auch im Fortgang des Romans. Keine tiefschürfende Lektüre, aber ein anregendes Lesevergnügen mit vielen Anknüpfungspunkten, die eine Weile nachhallen. Und soll nicht ein Roman bei den Lesenden Gedankengänge auslösen, die auf unterschiedlichste Weise an die eigene Lebenswirklichkeit rühren?

Doris Knecht: Eine vollständige Liste aller Dinge. die ich vergessen habe. Hanser Berlin 2023

Besprechung vom August 2023

Sabine Skudlik