Eva Menasse : Vienna

Wiener Schmäh trifft jüdische Identität
Ein vergnüglicher Roman, in dem auch Fußball eine wichtige Rolle spielt

Die Geschwister Eva und Robert Menasse, aufgewachsen in Wien, sind beide Schriftsteller. Sie sind unter anderem als Sachbuchautor:in bzw. als Essayist und Journalistin unterwegs, aber einer größeren Öffentlichkeit sind sie als Romanciers bekannt geworden. Im letzten Herbst [2017] erhielt Robert Menasse den Deutschen Buchpreis für seinen EU-Roman „Die Hauptstadt“, Eva Menasse wurde für den Erzählungsband „Tiere für Fortgeschrittene“ mit dem Österreichischen Buchpreis ausgezeichnet.

An dieser Stelle möchte ich jedoch ihr literarisches Debut besprechen, den Roman „Vienna“, erschienen bereits 2005. Es ist eine Geschichte, in denen die (zum Teil prominenten) Mitglieder ihrer eigenen Familie die Hauptrollen spielen: neben Bruder Robert wird ihrem Vater Hans Menasse breiter Raum eingeräumt, der in den 50er Jahren ein bekannter österreichischer Fußballspieler war. Aber es ist natürlich davon auszugehen, dass die Autorin diese und andere Personen romanhaft gestaltet und fiktionalisiert hat.

Der Roman speist sich an der Oberfläche aus Anekdoten, die in der Familie immer wieder erzählt wurden – ob echt oder gut erfunden, spielt dabei keine Rolle. Das macht die Lektüre zu einem sehr unterhaltsamen Vergnügen, und dass die Autorin sich nicht um Chronologie schert, sondern scheinbar nach Lust und Laune ihren assoziativ verknüpften Erinnerungen folgt, trägt durchaus zu diesem Lesevergnügen bei.

Gewürzt ist der Roman mit dem berühmten, hintergründigen Wiener Schmäh, was dazu führt, dass man sich als Leser:in in diesen familiären Erzählrunden sehr wohl fühlt. Bei all dem Episodischen gibt es jedoch einen roten Faden, der die Geschichten und zum Teil skurrilen Charakterköpfe der Großfamilie verbindet, und das ist ihre jüdische Herkunft.

Der Großvater der Autorin war der Sohn polnischer, nach Wien eingewanderter Juden, verheiratet mit einer katholischen Sudetendeutschen. Ihr gemeinsamer Sohn, der spätere Fußballstar, wurde zusammen mit seinem älteren Bruder als 7-jähriges Kind zum Schutz vor den Nazis nach England verschickt und kam dort in einer Pflegefamilie unter. Als er nach dem Krieg zurückkehrte, musste er sowohl seine Eltern als auch die deutsche Sprache neu (kennen-)lernen.

So sind neben den lustigen Anekdoten im roman-immanenten Familiengedächtnis natürlich auch viele tragische Ereignisse aus der Nazi-Zeit aufbewahrt, ebenso wie Beispiele für Überlebenskunst in den dunklen Jahren und das kleine und größere Glück, das sich die einzelnen Protagonisten nach dem Krieg erarbeiteten. Diese und andere Fakten musste Eva Menasse allerdings regelrecht „recherchieren“, wie sie in diversen Interviews berichtet hat.

Auch ihr Vater heiratete in erster und zweiter Ehe eine Nicht-Jüdin. Seine Kinder, die Ich-Erzählerin und besonders ihr Roman-Bruder, stellen ihm die Frage nach seiner jüdischen Identität (die er sich selbst nicht stellt) und ringen mit ihrer eigenen „Viertel-Identität“. Besonders hartnäckig tut dies der ältere (Halb-)Bruder der Autorin, der sich mit Begeisterung und Streitlust in nach-68er politische Diskussionen wirft und damit nicht nur in der eigenen Familie für Verwerfungen sorgt.

Das Besondere an diesem Buch ist die Leichtigkeit, mit der die Autorin vordergründig individuelle Ereignisse und charmante Histörchen mit grundlegenden Fragen verknüpft, die bei allem mitschwingen: Worin besteht eigentlich die jüdische Identität? Und worin äußert sich Antisemitismus? Und ist das Thema irgendwann einmal erschöpfend und abschließend behandelt?

Natürlich ist es das nicht, und dies ist ein Grund für die ungebrochene Aktualität des Romans „Vienna“ (so betitelt nach dem Fußballclub des Vaters), auch 13 Jahre nach seinem Erscheinen.

 

Eva Menasse: Vienna. Roman. Kiepenheuer&Witsch 2005, als TB bei btb 2007. 432 Seiten

Besprechung vom Juni 2018

Sabine Skudlik