Graham Swift : Da sind wir
Zauberhaft und elegant
Wer Graham Swifts ungemein erfolgreichen Roman „Ein Festtag“ mit Freude gelesen hat (besprochen im Dez. 2017), dem wird auch der aktuelle Titel „Da sind wir“ gefallen. Beide werden als Romane bezeichnet, aber eigentlich sind es eher Novellen, mit einem „unerhörten Ereignis“, das dem ruhig dahinfließenden Geschehen eine abrupte Richtungsänderung verpasst.
Man könnte einen aufregenden Plot entwerfen und alles auf dieses Ereignis hin zuspitzen, aber dem Romanautor Graham Swift geht es offenbar nicht um äußerliche Spannung. Weit mehr interessiert ihn die innere Entwicklung seiner Protagonist:innen, und diese zu erforschen und nachvollziehbar darzustellen ist seine große Stärke.
„Da sind wir“: Da ist Jack, der beliebte und smarte Conférencier einer Varieté-Show im englischen Brighton. Er hat beim Militär den jungen glutäugigen Magier Ronnie kennengelernt, dem er ein Engagement als Zauberer in seiner Show verschafft hat. Jack ist es auch, der Ronnie auffordert: „Du brauchst eine Assistentin“! Und dem zurückhaltenden Ronnie gelingt es tatsächlich, in der reizenden Eve die dekorative Idealbesetzung für diesen Posten zu finden.
Bald sind die beiden nicht nur auf der Bühne ein schillerndes Paar, sondern auch im „richtigen Leben“ verliebt und alsbald verlobt. Zunächst bilden Jack, Ronnie und Eve eine eingeschworene Dreier-Clique, aber es dauert nicht lang, da kann Jack nicht mehr die Augen von Eve in ihrem Glitzerkostüm lassen. Und auch Eve ist von Jacks Charme eingenommen.
Breiten Raum nimmt der Rückblick auf Ronnies Kindheit ein, über die sehr anrührend erzählt wird. Wie er in ärmsten Verhältnissen bei seiner Mutter in London aufwächst, seinen Vater, einen Seemann, nur von äußerst seltenen Besuchen kennt – und wie er 1939 schließlich zu ihm völlig unbekannten Pflegeeltern verschickt wird, um ihn vor drohenden Bombenangriffen zu schützen.
Tausenden Kindern ergeht es ebenso, und für viele wird die Trennung von ihren Eltern ein traumatisierendes Erlebnis – für den kleinen Ronnie hingegen wird es das größte Glück seines Lebens, denn er kommt zu einem kinderlosen Ehepaar, bei denen er nicht nur in Liebe und Geborgenheit aufwächst, fern von kriegerischen Bedrohungen, sondern wo er durch seinen Ziehvater Eric auch Zugang zur Zauberei bekommt. Er wird „Zauberlehrling“ – so wird Jack es später flapsig nennen.
Und schon ist der Leser / die Leserin mittendrin im eigentlichen Thema des Buches. Agiert ein Zauberer mit Tricks, oder ist da mehr dahinter? Was ist Realität, was ist Illusion, was ist Magie? Warum passieren Dinge, so wie sie passieren?
Graham Swift lässt uns teilhaben am Innenleben seiner Figuren, an ihrem Erleben und ihrem Empfinden, an ihren Ängsten und Hoffnungen. Sein Erzählen passt sich, so scheint es, seinem „zauberhaften“ Thema an, es ist luftig und schwebend, elegant und mühelos.
Im Idealfall endet die Lektüre für den/die Leser*in so, wie das Publikum aus einem Abend im Varieté kommt: Nur zu gerne hat man sich dem Glitzern, der Schönheit und der Illusion überlassen und fühlt sich am Ende – wie verzaubert!
Graham Swift: Da sind wir. Roman. (engl. Originalausgabe 2020; übs. v. Susanne Höbel)
dtv München, 2020. 159 Seiten.
Besprechung vom Mai 2020