Inge und Walter Jens : Katias Mutter
Vom Glanz vergangener Zeiten
Ende 2004 habe ich an dieser Stelle das Buch „Frau Thomas Mann“ besprochen, die äußerst lesenwerte Biografie der Ehefrau von Thomas Mann, Katia, geb. Pringsheim. Inge und Walter Jens haben gemeinsam diese schillernde Persönlichkeit vorgestellt, die für ihren Mann, den weltberühmten Romancier und Nobelpreisträger, nicht nur Partnerin und Muse war, Zuhörerin und Ratgeberin, sondern auch Agentin, Assistentin und nicht zuletzt das Haupt eines gastfreundlichen Hauses, gesellschaftlichen Zirkels und die Managerin einer achtköpfigen Familie.
Breiten Raum in dieser Lebensschilderung nimmt die Darstellung von Katias Leben vor ihrer Verheiratung ein. Sie war, nach vier Söhnen, die einzige Tochter von Hedwig und Alfred Pringsheim. Und deren Haus war strahlender Mittelpunkt der Münchner Gesellschaft, lange bevor Thomas Mann nach München kam. Schon in der Katia-Biografie begeistern die Kapitel über das Haus Pringsheim, und so ist es nur folgerichtig, dass Inge und Walter Jens aus der intensiven Recherche zu Katias Herkunft ein weiteres Buch machten, in dessen Mittelpunkt nunmehr „Katias Mutter“ steht.
Hedwig Pringsheim war die Tochter der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, die ebenso wie ihr Mann Ernst Dohm publizistisch tätig war. Von den Eltern erbte die junge Hedwig vermutlich die poetische Begabung, und das Heranwachsen im Kontakt mit literarischen Kreisen tat ein Übriges, um die Schärfe ihrer Beobachtungsgabe und die Eleganz ihrer Ausdrucksweise reifen zu lassen.
Nicht, dass die jüngere Hedwig Dohm ebenfalls eine literarische Karriere angestrebt hätte! Nein, sie zog es ins Schauspielfach und sie konnte an der damals hoch angesehenen Meininger Bühne Fuß fassen und bescheidene Erfolge feiern. Die Ehe mit dem Mathematikprofessor Alfred Pringsheim markierte jedoch das Ende der Schauspielerei.
Hedwig Pringsheims literarische Qualitäten sprechen aus zahlreichen Briefen, die sie mit bedeutenden Persönlichkeiten ihrer Zeit wechselte, mit Freunden und Bekannten, mit ihren Eltern und später auch mit ihren Kindern, allen voran mit ihrer Tochter Katia. Und diese Briefe sind ein wahrer Schatz: Sie erzählen vom Leben in den gebildeten und lebensfrohen Münchener Kreisen und beschreiben mit funkelndem Witz die Zustände in den turbulenten Zeiten des späten 19. Jahrhunderts sowie der Blüte Münchens bis 1933.
In vier Jahren bekam Hedwig Pringsheim fünf Kinder – die beiden jüngsten waren Zwillinge, Klaus und Katia. Zwar waren ihr, die einen reichen Mann geheiratet hatte, dienstbare Geister stets zur Seite, dennoch war sie reichlich gefordert, das Familienleben zu organisieren.
1890 zog die Familie Pringsheim in ein Palais an der Arcisstraße, das Alfred sich – standesbewusst – nach seinen Vorstellungen hatte bauen und von Künstlern ausstatten lassen. Es wurde rasch der gesellschaftliche Mittelpunkt des intellektuellen und künstlerisch interessierten München. Die sonntäglichen Teegesellschaften waren legendär, vor allem auch wegen der unnachahmlichen Kunst Hedwig Pringsheims, Gastgeberin zu sein: berühmt nicht nur für ihre überaus schöne Erscheinung, sondern auch für ihren Esprit, ihre Bildung, ihre Konversationsgabe. Katias Mutter wurde ihrer Tochter nicht nur in dieser Beziehung Lehrmeisterin und leuchtendes Vorbild.
Bekanntermaßen kehrten Thomas und Katia Mann 1933 von einer Vortragsreise nicht mehr ins nationalsozialistische Deutschland zurück. Lange wollten Alfred und Hedwig Pringsheim nicht wahrhaben, dass ihnen als Juden größte Gefahr drohte. Denn auch ihre hohe gesellschaftliche Stellung schützte sie nicht vor der Barbarei der Braunhemden. Buchstäblich in allerletzter Minute (am 31. Oktober 1939) gelang es ihnen, in die Schweiz auszureisen, nachdem man ihnen das schöne Arcisstraßen-Palais schon lange vorher weggenommen hatte (es musste den Führerbauten weichen, die noch heute dort stehen). Auch diese letzten, traurigen Jahre werden in dem Buch beeindruckend dargestellt – und auch hier sind vor allem die Briefe, die Hedwig an ihre Tochter im kalifornischen Exil schreibt, ein beredtes Selbstzeugnis.
Inge und Walter Jens: Katias Mutter. Das außerordentliche Leben der Hedwig Pringsheim. Rowohlt Verlag Reinbek bei Hamburg 2005. Als Taschenbuch 2007, rororo Nr.61460. 285 Seiten.
Besprechung vom August 2007