Jane Gardam : Ein untadeliger Mann | Eine treue Frau | Letzte Freunde
Jane Gardam: Very british!
Die „Old Filth“-Trilogie entzückt
Jane Gardam wird 2018 stolze 90 Jahre alt und ist in Großbritannien seit Jahren eine angesehene und vielgelesene Schriftstellerin, als Autorin von Kurzgeschichten, Kinderbüchern und einer stattlichen Anzahl von Romanen. Mit den letzten dreien scheint sie sich selbst eine besondere Freude gemacht zu haben.
Ihre „Old Filth“-Trilogie dreht sich in der Hauptsache um zwei angesehene Anwälte (später Richter) in Hongkong, als dieses noch Kronkolonie des British Empire war. Und um eine Frau, die Ehefrau des einen und Geliebte des anderen war. Mit ihrem Tod setzt der erste Roman „Ein untadeliger Mann“ ein und erzählt einerseits von der verbleibenden Zeit, die der Titelheld Edward Feathers nunmehr allein verbringt, mit allen Schwierigkeiten, denn seine Frau Betty war Stütze und Konstante seines Lebens. Andererseits entfaltet sich vor dem Leser allmählich das im ersten Drittel durchaus abenteuerliche Leben von Edward. In British Malaysia geboren, verlief seine Kindheit anfangs glücklich, obwohl die Mutter bei der Geburt gestorben war - aber er war behütet von einer Missionarin, mehreren malaysischen Frauen und finanziell versorgt von einem distanzierten Vater.
Grausam wird es, als Edward als Kleinkind zusammen mit anderen Kindern nach England geschickt wird, um dort in einer Pflegefamilie aufgezogen und später im Internat und an Elite-Unis ausgebildet zu werden. Das Schicksal dieser sogenannten „Raj-Waisen“, also Kindern britischer Kolonialbeamter, die in oft lieblosen Ersatzfamilien in der für sie fremden „Heimat“ aufwuchsen und dadurch oft schwere Traumata davontrugen, scheint eine durchaus übliche Praxis im British Empire gewesen zu sein.
Es bildet im Roman aber nur einen Hintergrund. Denn Edward findet nach anfänglichem Unglück Freunde und wohlmeinende Erziehungspersonen und bleibt durch seine spätere Karriere als Jurist in Hongkong dem Fernen Osten verbunden.
Auch sein schärfster Konkurrent, Terry Veneering, hatte eine alles andere als „normale“ Kindheit, und Betty, die Frau zwischen diesen beiden, ist ebenfalls in Fernost geboren und hatte bereits in jungen Jahren ein schweres Schicksal zu schultern.
All dies erfährt man aber nicht in „ordentlich“ erzählten Lebensgeschichten, sondern nach und nach, in Rückblenden, Andeutungen, Gedankenschnipseln und fast irrwitzigen anmutenden Zufallsbegebenheiten. Die große Erzählkunst der Autorin besteht darin, dass sich der Leser in dieser mitunter willkürlich wirkenden Entfaltung der Romanhandlung keineswegs verloren oder orientierungslos fühlt. Jane Gardam entwickelt ihre Charaktere höchst lebensnah und jede/r von ihnen nimmt den Leser und die Leserin sofort für sich ein.
Es ist, als ob man zufällig Bekanntschaften mit neuen, interessanten Menschen machen würde, deren spannende Lebensgeschichte man in kleinen Dosen nach und nach erfährt. Immer gerade so viel, dass man gerne nachfragen würde, aber natürlich ist man viel zu höflich, um die eigene Neugier so offen zu zeigen. Dennoch wird man immer vertrauter mit diesen Menschen und meint sie und ihre Geschichte nach einiger Zeit ganz gut zu kennen.
Der Clou an der Trilogie ist, dass der zweite Band „Eine treue Frau“ viele aus dem ersten Band bereits bekannte Episoden nun aus der Sicht von Edwards Ehefrau Betty erzählt, in manchen Schlüsselszenen sogar bis ins Detail wiedererkennbar. Aber aus weiblicher Sicht nimmt sich das natürlich alles völlig anders aus. Nicht zuletzt der Blick auf den Dritten im Bunde, Terry Veneering.
Dieser wird nach Bettys Tod zufällig Edwards Nachbar im Südwesten Englands, wo beide sich ihren Alterssitz einrichten. Und wie es das Romanschicksal will, werden die beiden höchst individuellen Herren, die unterschiedlicher nicht sein könnten, auf ihre alten Tage sogar noch Freunde. Beide sterben wie Betty, einen plötzlichen und – fast möchte man sagen – einen schönen, für sie sehr passenden Tod.
Ich weiß nicht, ob Jane Gardam die Trilogie von vorneherein als solche geplant hat. Fast macht es den Eindruck, als ob sie nach zwei Bänden einfach nicht aufhören konnte, und deshalb im 3. Teil „Letzte Freunde“ noch Terry Veneering seinen großen Auftritt gönnen wollte, wie auch einigen anderen Figuren, die in den beiden ersten Bänden nur eine Nebenrolle spielen.
Man muss die drei jeweils in sich abgeschlossenen Romane nicht als Trilogie lesen, nicht einmal an die Reihenfolge ihres Erscheinens muss man sich halten. Aber den größeren Genuss hat man natürlich, wenn man sich alle drei Bücher nach und nach einverleibt – und eigentlich wünscht man sich danach noch eine Fortsetzung.
Jane Gardams Schreiben ist von großer Lebensklugheit, Güte und Menschenfreundlichkeit gekennzeichnet. So unangestrengt und fast zufällig-episodisch ihr Erzählstil wirkt, so kunstvoll hält sie natürlich die Fäden in der Hand, streut Informationen wohl dosiert, und der Reiz liegt nicht selten darin, dass etwas nicht erzählt, sondern nur angedeutet wird.
Die drei Bücher sind im Original in den Jahren 2004 („Old Filth“), 2009 („The Man in the Wooden Hat“) und 2013 („Last friends“) erschienen.
Auf Deutsch wurden die drei Bände erst in den Jahren 2015 und 2016 publiziert und die Übersetzung von Isabel Bogdan beweist, dass englischer Humor und die manchmal etwas unterkühlte Ausdrucksweise sich sehr wohl in elegantes Deutsch übertragen lassen. „Old Filth“ machte seine grandiose Erfinderin nun auch hierzulande berühmt. Ein Geheimtipp ist Jane Gardam inzwischen nicht mehr – zum Glück!
Jane Gardam: Ein untadeliger Mann (2015) | Eine treue Frau (2016) | Letzte Freunde (2016). Hanser Berlin.
Besprechung vom März 2017