Jostein Gaarder : Das Weihnachtsgeheimnis

Ein Adventskalender der besonderen Art

Jostein Gaarder, weltbekannt seit seinem Erfolgsbuch „Sofies Geheimnis“, hat schon vor zehn Jahren ein Buch für die Adventszeit vorgelegt. In 24 Kapiteln nähert es sich dem „Weihnachtsgeheimnis“ (so der Titel) an.

Es geht um einen Jungen, der mit seinem Vater in einer Buchhandlung einen seltsamen Adventskalender ersteht. Dass dieser magische Qualitäten besitzt, wird dem jungen Joachim schon am 1. Dezember klar, als er das erste Türchen öffnet. Heraus fällt nämlich ein kleiner Zettel, der in winziger Schrift den Beginn einer Geschichte erzählt.

Ein kleines Stoff-Lämmchen läuft aus einem Kaufhaus davon, und ein Mädchen, das mit seiner Mutter dort unterwegs ist, bemerkt die Flucht. Einem plötzlichen Impuls folgend springt das Mädchen hinterher und begegnet – als sei es das normalste von der Welt – einem Engel. Dieser erklärt ihm, er und das Lämmchen seien auf dem Weg nach Bethlehem, um das Christkind anzubeten. Ohne lange zu zögern, schließt sich das Mädchen ihnen an.

Dass der eigenartige Pilgerzug dabei nicht nur eine geografisch weite Reise, nämlich von Norwegen nach Palästina, zurücklegen muss, sondern auch rückwärts durch rund 2000 Jahre Geschichte reist, macht die Sache natürlich sehr interessant.

Von Tag zu Tag – aus jedem Türchen des Adventskalenders fällt ein neuer Zettel mit der Fortsetzung der Geschichte – schließen sich neue Gestalten der Gruppe an: mehrere Schafe und Hirten, Engel, die Heiligen Drei Könige, sogar der Kaiser Augustus.

Spannend wird indessen auch die Rahmenhandlung, denn der Junge versucht zunächst, das Geheimnis des Kalenders vor seinen Eltern zu verbergen. Doch sie kommen ihm auf die Schliche und werden genauso in Bann gezogen wie er. Denn der mutmaßliche Autor der Pilger-Geschichte, ein alter Blumenverkäufer, hat anscheinend den Schüssel, der die Zeitreise im Kalender mit einer zeitgenössischen Realität verbindet.

„Das Weihnachtsgeheimnis“ eignet sich hervorragend zum Vorlesen (oder gemeinsamen Lesen) von Eltern und Kindern im Grundschulalter (jüngere werden die historischen Anspielungen nicht verstehen). Durch den immer gleichartig bleibenden Marsch durch die Historie entfalten die fortlaufenden Kapitel den Charme eines „road movie“ – und eigenen sich dadurch hervorragend, die Wartezeit auf den 24. Dezember zu strukturieren.

Die Auflösung des Geheimnisses am Ende erfolgt nicht vollständig – es bleibt ein „magischer Rest“. Die Botschaft, dass die Geburt des Gottessohnes vor zwei Jahrtausenden dort stattfand, wo heute die palästinensische Flüchtlingsproblematik und der Nahost-Konflikt schwelen, und dass der Frieden der Weihnachtsbotschaft sich unter den Konfliktparteien noch keinen Einfluss verschaffen konnte, werden die kindlichen Rezipienten vielleicht nicht ganz verstehen. Die erwachsenen Leser:innen aber können darüber nachdenken und vielleicht versuchen, mit ihren Kindern über dieses Thema ins Gespräch zu kommen.

 

Jostein Gaarder: Das Weihnachtsgeheimnis. Norweg. Orig. 1992, dt. 1998. dtv München. 272 Seiten.

Besprechung vom November 2008

Sabine Skudlik