Milena Michiko Flašar : Oben Erde, unten Himmel

Die 25-jährige Suzu lebt in einer japanischen Großstadt. Sie, die Ich-Erzählerin, bezeichnet sich selbst als Mensch, der nicht viel Gesellschaft braucht. Sie lebt allein mit ihrem Hamster und ist ganz zufrieden damit. Sie hangelt sich von einem Gelegenheitsjob zum nächsten.

So landet sie fast aus Versehen bei einer Reinigungsfirma, die sich darauf spezialisiert hat, die Wohnungen von Menschen aufzulösen, die einsam und unbemerkt verstorben sind und deren Tod oft erst nach Wochen oder Monaten (meist durch den Geruch) bemerkt wird. Im Japanischen gibt es dafür einen Begriff: Kodokushi.

Herr Sakai, der Inhaber dieser Firma, legt großen Wert darauf, dass die Würde der Verstorbenen geachtet wird. So betritt das Team keine Wohnung, ohne dass zuvor ein kurzes buddhistisches Gebet gesprochen wird und man den Verstorbenen mit Ehrerbietung begrüßt.

Nach und nach kommt Suzu in näheren Kontakt mit ihren Mitarbeitern, dem Bekanntenkreis von Herrn Sakai und ihren Nachbarn. Es bleibt nicht aus, dass sie ihre eigene einzelgängerische Lebensweise und auch ihr Verhältnis zu ihren Eltern reflektiert, zu denen sie nur einen sehr losen Draht hat.

Suzu parliert im oft flapsigen Ton einer jungen, modernen Großstadtbewohnerin. Die Kunst der Autorin Milena Michiko Flašar besteht darin, dass sie mit dieser unbekümmerten Ausdrucksweise ihre Protagonistin sehr authentisch wirken lässt – und gleichzeitig verleiht sie ihr eine Beobachtungsgabe und Sensibilität, die zu sehr differenziertem und lebendigem Erzählen führt. Und zu einer persönlichen Entwicklung hin zu einem Menschen mit sozialen „Antennen“.

Ein Buch mit einer zunächst entlegen anmutenden Thematik, das sofort einen Sog entwickelt. Schnell wird deutlich, dass die Thematik gar nicht abgelegen ist, sondern höchst aktuell. In Deutschland genauso wie in Japan. Das Thema heißt Einsamkeit.

Die Autorin (Mutter Japanerin, Vater Österreicher) ist in Österreich geboren und aufgewachsen und hat in Wien und Berlin studiert. Das Buch wurde auf deutsch (stellenweise mit österreichischen Dreh) geschrieben. Die japanischen Begriffe werden am Ende in einem Glossar erklärt. So gewährt „Oben Erde, unten Himmel“ nicht nur Einblick in eine unbekannte „Branche“, sondern auch in ein fremdes Land mit seiner besonderen Kultur.

 

 Milena Michiko Flašar: Oben Erde, unten Himmel. Roman. Verlag Klaus Wagenbach Berlin, 2023. 297 Seiten.
Auch als TB, E-Book und als Hörbuch.

Besprechung vom Nov. 2024

Sabine Skudlik