Jens Malte Fischer : Gustav Mahler. Der fremde Vertraute

Gustav Mahler und Alma Mahler-Werfel
Zwei Leben im Spannungsfeld von Kunst und Leidenschaft

Symphonien von Gustav Mahler standen seit 2011 schon mehrmals auf dem Programm der “Landsberger Konzerte”.

Wer war dieser Mann, der als „der letzte Groß-Symphoniker“ bezeichnet wurde, als „Vollender der Symphonie“, oder auch einfach nur als „Genie“? Und wer war Alma, geborene Schindler, seine um 19 Jahre jüngere Ehefrau, die ihm einerseits kongeniale Gefährtin und inspirierende Muse war, ihn aber auch durch ihre wechselnden Launen, die Instabilität ihrer Gefühle und nicht zuletzt ihre Amouren in abgrundtiefe Verzweiflung stürzte?

Beider Leben spiegeln nicht nur eine der interessantesten kulturellen Epochen in Europa, sondern zeigen auch zwei schillernde Persönlichkeiten im Spannungsfeld von Kunst und Leidenschaft.

Zwei umfassende Biografien ragen aus der vielfältigen und weit verzweigten Literatur über Gustav Mahler und Alma Mahler-Werfel heraus:

Jens Malte Fischer, Professor für Theaterwissenschaft an der LMU München und bekannt als Autor und Kritiker, u.a. für die SZ, zeichnet in seinem 2003 erschienenen Werk „Gustav Mahler. Der fremde Vertraute“ das differenzierte Bild einer vielschichtigen Persönlichkeit: Mahler war ja nicht „nur“ Komponist, sondern hauptsächlich ein weltberühmter Dirigent und ein reformfreudiger Operndirektor, zuletzt in Wien, der quasi die moderne Opernregie begründete. Mahler bewältigte ein schier unvorstellbares Arbeitspensum, getrieben von Ehrgeiz genauso wie von seinem kompromisslosen künstlerischen Ethos; privat war er ein verletzlicher, feinsinniger, aber auch komplizierter Mensch, der es seiner Umgebung wahrlich nicht leicht machte. Fundierte Werkanalysen und ein immenses Hintergrundwissen machen Fischers brillant geschriebene Biografie zu einem Lesevergnügen allererster Ordnung.

Unter dem Titel „Witwe im Wahn“ legte Oliver Hilmes im Jahr 2004 eine große Alma-Biografie vor, die sich erstmals auf die unveröffentlichten Teile ihres Tagebuchs sowie auf zahlreiche Briefe stützt, die persönlichen Erinnerungen vieler Zeitgenossen sowie andere Quellen heranzieht und damit Almas Autobiografie „Mein Leben“, eine mehr schlecht als recht geschriebene Selbststilisierung, in jeder Hinsicht relativiert. Hilmes entwirft ein facettenreiches Bild dieser Frau, die ihre Zeitgenossen, vor allem die männlichen, ungeheuer fasziniert haben muss. Als „Muse der vier Künste“ wollte sie sich selbst gerne sehen (verheiratet mit dem Komponisten Mahler, dem Architekten und Bauhaus-Begründer Gropius, dem Schriftsteller Werfel, in einer leidenschaftlichen Affäre liiert mit dem Maler Kokoschka), aber war sie ihren Ehemännern und den zahllosen Liebhabern wirklich Gefährtin oder benutzte sie sie eher für eigene Zwecke? Bleibt von ihr mehr als nur „das bißchen Unterleib“? Ein spannendes Leben, ohne Zweifel. Hilmes wertet eine beeindruckende Materialfülle aus und schreibt mitfühlend und mitreißend, wenngleich seine Tendenz, sich zuweilen zu wertenden Urteilen hinreißen zu lassen, obgleich die Faktenlage bzw. die privaten Auslassungen Almas genug eigene Aussagekraft haben, die biografische Dezenz ein wenig schmälert.

Wer sich mit Mahler und seinem Umfeld genauer beschäftigen oder auch nur in die dichte, kunstbesessene Zeit der Jahrhundertwende und darüber hinaus eintauchen möchte, ist mit diesen beiden Werken bestens versorgt.

Jens Malte Fischer: Gustav Mahler. Der fremde Vertraute. Paul Zsolnay Verlag (Wien) 2003. 992 Seiten.

Oliver Hilmes: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel. Siedler Verlag (München) 2004. 477 Seiten.

Besprechung vom Oktober 2014

Sabine Skudlik