Renate Feyl : Idylle mit Professor
Als Victoria Kulmus im Jahr 1735 den Literaturprofessor Johann Christoph Gottsched heiratet, ist dieser bereits ein berühmter und einflussreicher Gelehrter. Seine „Critische Dichtkunst“ von 1730 unternimmt den Versuch, die Poesie in den Kontext einer bürgerlich-aufklärerischen Bildungsprogrammatik zu überführen. Ebenso wichtig und zukunftsweisend sind seine Bemühungen um eine einheitliche deutsche Hochsprache.
Viktoria, 13 Jahre jünger als ihr Ehemann, hat mit diesem schon seit jungen Jahren korrespondiert. Als er sie bittet, seine Frau zu werden, ist das für sie die höchste Auszeichnung. „An der Seite dieses berühmten Mannes wird ihr Leben Bedeutung bekommen.“
Ein Vierteljahrhundert später fragt sich Viktoria verbittert, was sie eigentlich vom Leben gehabt hat. Gewiss, sie hat ihre eigene Passion, die Liebe zum Schreiben, zum Beruf gemacht. Sie hat Gedichte, Lustspiele, zahlreiche Übersetzungen und gelehrte Schriften veröffentlicht. Sie wird hofiert und bewundert. Aber das, was sie hätte haben können, nämlich eine Ehe in vollkommener geistiger Übereinstimmung, das ist ihr versagt geblieben. So bleibt ihr zwar ihre eigenes Werk, aber die Einsamkeit, die die geistige Arbeit (zumal für eine Frau zu dieser Zeit) mit sich bringt, kann sie mit niemandem teilen.
Professor Gottsched erteilt seiner Frau am Beginn ihrer Ehe Lateinunterricht. Er ist sehr angetan von ihrer Wissbegier, von ihrer Intelligenz, von ihrem kreativen und wendigen Verstand. Bald wird sie von der Schülerin zur Mitarbeiterin. Begeistert unterstützt sie ihn in seiner gelehrten Arbeit, wo sie nur kann. Doch eine herbe Enttäuschung erwartet sie, als die Übersetzung des Bayleschen Wörterbuchs erscheint - und sie nicht namentlich unter den Mitarbeitern genannt ist. Gottsched kann sie nicht verstehen. Ihr Name sei doch in seinem aufgehoben.
Viktoria stürzt sich in anderes gigantisches Projekt. Sie will - ganz allein - die „Geschichte der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Paris“ übersetzen. Das gelingt ihr in zehnjähriger harter Arbeit und ihr Name wird im gelehrten Europa ein Begriff. Gleichzeitig beginnt der Stern ihres Mannes zu sinken. Sein halsstarriges Beharren auf überkommenen Ansichten macht ihn mitunter zum Gespött der gelehrten Welt. Viktoria teilt häufig die literarischen Ansichten seiner Gegner. Aber sie muss mit der bitteren Erkenntnis leben, „daß die Ehe mit einem berühmten Mann für die Frau eine besonders heimtückische Form von Abhängigkeit bereithält - sich gegen sich selbst stellen zu müssen.“ Dass seine Frau ebenso große oder sogar größere Achtung genießt als er selbst, bleibt für Gottsched inakzeptabel. Denn: „Er hat sie geschaffen. Sie ist sein Produkt.“
Renate Feyl kennt ihre Materie, die Geschichte der deutschen Literatur, sehr gut, und zwar nicht nur das, was in allen Standardwerken zu lesen ist, sondern vor allem auch Leben und Werk von Schriftstellerinnen, deren Licht nicht so hell leuchtet wie das ihrer männlichen Kollegen. So hat sie auch einen Roman über Sophie von La Roche sowie über Caroline von Wolzogen, die Schwägerin und Muse Schillers, geschrieben.
Feyls Roman über „die Gottschedin“, wie Viktoria Gottsched im zeitgenössischen Sprachgebrauch genannt wurde, ist nicht nur ein flammendes - und durchaus zeitgemäßes! - Plädoyer für die geistige Eigenständigkeit der Frau, sondern auch ein unterhaltsamer Abriss über die Literaturepoche der Aufklärung und Empfindsamkeit. Ganz nebenbei erfährt der literarhistorisch interessierte Leser auch, worum es eigentlich in diesen gelehrten Debatten des 18. Jahrhunderts ging. Feyl schreibt im Personalstil, mal die Perspektive des Professors, mal die seiner Frau wählend, und bevorzugt das Stilmittel der erlebten Rede, das einen unverstellten Einblick in die Gedankenwelt der Hauptpersonen erlaubt. Ihre Sprache erzeugt fast unmerklich eine empfindsame Atmosphäre und vermittelt ein lebendiges „Zeitkolorit“, ohne aufdringlich das heute umständlich wirkende Deutsch des 18. Jahrhunderts nachzuahmen.
Renate Feyl: Idylle mit Professor. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch Köln 1995. Diana-Taschenbuch 2000. 286 Seiten.
Besprechung vom August 2004