Katharina Hagena : Der Geschmack von Apfelkernen

Sommerduft und Apfelblüte
Ein Roman über Liebe und Vergessen

Schwer zu sagen, warum manche Bücher auf den Bestsellerlisten landen und andere nicht. Der Erstlingsroman von Katharina Hagena hat dies auf Anhieb geschafft und verspricht eine anregende und kurzweilige Sommerlektüre.

Wenn man Familienepen mag, ist man hier gut aufgehoben. In der frühesten Generation steht ein Schwesternpaar – Anna und Bertha – im Mittelpunkt, in der nächsten Generation bevölkern drei Schwestern, wie sie ungleicher nicht sein könnten, das alte Haus, in dem, wiederum eine Generation später, Tochter, Cousine und Freundin ihre Sommerferien verbringen. Es sind also hauptsächlich Frauen und Mädchen, die diesen Roman bevölkern, wenngleich an entscheidender Stelle dann doch Väter, Ehemänner und Liebhaber den Lauf des Lebens würzen und häufig verkomplizieren.

Als Großmutter Bertha stirbt und das alte Haus ihrer Enkelin Iris vererbt, ist dies Anlass für die Ich-Erzählerin, in den Norden und zu ihren Kindheitserinnerungen zurückzukehren. Für die nunmehr Erwachsene klären sich in der Rückschau viele Dinge, manches wird ihr erzählt, manches bleibt rätselhaft.

Schwer zu erklären sind zum Beispiel manche Kapriolen, die die Natur sich leistet – etwa rote Johannisbeeren, die weiß werden, oder eine Apfelbaumblüte zur Unzeit. Überhaupt die Apfelbäume und ihre Früchte! Sie sind das Leitmotiv, das den Roman auf allen Zeitebenen durchzieht, und „Der Geschmack von Apfelkernen“ aus dem Titel ist nur ein Beispiel für farb- und duftgetränkte Naturschilderungen, die dem Roman seine sinnliche Prägnanz verleihen.

Vor allem aber geht es um das Erinnern. „… sammeln war das Gleiche wie aufbewahren, und aufbewahren war das Gleiche wie erinnern, und erinnern war das Gleiche wie nicht genau zu wissen, und nicht genau zu wissen war das Gleiche wie vergessen zu haben… „ So lautet einer der mäandernden Gedankengänge der erinnernden Erzählerin, und das Spiel mit Andeutungen, Vermutungen und falschen Gewissheiten gelingt ihr meisterhaft. Nicht zufällig wird Großmutter Bertha in ihren letzten Lebensjahren zunehmend dement.

Scheinbar absichtslos springt die Erzählung zwischen den diversen Abschnitten des 20. Jahrhunderts hin und her: Zu Beginn wird die Großelterngeneration geboren, während des 2. Weltkriegs bekommt Bertha ihre drei Töchter, in den Sommern Ende der 70er Jahre spielen die nächsten drei Mädchen ihre Spiele, und etwa 1994 stellt sich für Iris die Frage, ob sie das Erbe antreten soll. (Ein Epilog aus unseren Tagen erklärt kurz und knapp, wie alles ausgegangen ist.) Mit leichter Hand zeichnet die Autorin nebenbei das Zeitkolorit der jeweiligen Epochen und das erhöht den Reiz des Romans.

Unterhaltsam und bisweilen komisch, dann auch wieder anrührend, immer aber mit großem Sprachwitz, einprägsamen Bildern und prägnanter Diktion – so präsentiert sich dieser Roman, den man mit Vergnügen liest und sich dabei nicht eine Sekunde langweilt!

 

Katharina Hagena: Der Geschmack von Apfelkernen. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008. 253 Seiten.

Besprechung vom August 2008

Sabine Skudlik