Maja Göpel : Unsere Welt neu denken
Einladung zu einer veränderten Sichtweise
„Unsere Welt neu denken“ – nichts weniger
Als im Februar [2020] das Sachbuch „Unsere Welt neu denken“ von Maja Göpel erschien, zeichnete sich die Corona-Pandemie zwar schon ab, in welch gravierendem Ausmaß der Lockdown aber weltweit das Alltagsleben der Menschen einschränken und wie tiefgreifend die Folgen für die Wirtschaft sein würden, war noch nicht abzusehen. Erst recht nicht, als Maja Göpel ihr aufrüttelndes Buch geschrieben hat. Jetzt wirken viele Sätze darin wie ein treffender Kommentar zur Krise.
Dass die Welt über ihre Verhältnisse lebt, dass der Planet und damit unser aller Lebensgrundlagen rücksichtslos ausgebeutet werden, dass Wirtschaft und Gesellschaft die Voraussetzungen und Folgen ihres Handelns „neu denken“ müssen – das alles ist seit langem bekannt. Nur wollen es viele nicht hören und erst recht nicht einsehen.
Göpel betont gleich zu Beginn, dass sie keine Klimawissenschaftlerin ist. Der Klimawandel ist daher auch nicht Hauptgegenstand ihres Buches. Göpel ist Polit-Ökonomin (und als solche leitet sie ein Gremium, das auch die Bundesregierung berät) und argumentiert nur auf dem Feld, auf dem sie Expertin ist.
Der Untertitel des Buches lautet „Eine Einladung“. Gerade wenn der/die Leser:in sich nicht der Ökonomen-Zunft zurechnet, sollte er/sie sich von der Autorin an die Hand nehmen und in einige wirtschaftswissenschaftliche Denkweisen einführen lassen. Denn um die gegenwärtigen Krisen zu meistern, ist es notwendig, sich die Regeln bewusst zu machen, nach denen unser Wirtschaftssystem aufgebaut ist.
„Anmaßung“ attestiert Göpel dieser Art des Wirtschaftens, da der Mensch die natürlichen Systeme seinem (nicht natur-gemäßen) Bedarf unterwirft. Die Folge: Der Mensch reduziert die Vielfalt der Natur, macht sie verletzlicher und braucht einen immer größeren Aufwand, um sie zu stabilisieren.
Ein besonders absurdes Beispiel: Im Auftrag der amerikanischen Einzelhandelskette Walmart wurde ein winziger Flugroboter entwickelt und zum Patent angemeldet, der in der Lage ist, Pollen auf einer Pflanze einzusammeln und mithilfe eines winzigen Ventilators auf einer anderen Pflanze wieder auszubringen. Also einen „Job zu erledigen“, wie es Bienen seit Millionen von Jahren unentgeltlich tun (solange es sie noch gibt). Aber mit einer Mini-Drohne lässt sich Geld verdienen…
Göpel erläutert unter anderem, dass die Wirtschaftswissenschaft sich an zentralen Ideen v.a. englischer Ökonomen vergangener Jahrhunderte orientiert, die zu ihrer Zeit ihre Berechtigung hatten, aber heute nicht mehr.
Diese Ideen stammen aus einer Zeit, als wir in einer „leeren Welt“ lebten. Jetzt leben und wirtschaften wir in einer vollen (wie es z.B. auch Ernst-Ulrich von Weizsäcker, Ehrenvorsitzender des „Club of Rome“, immer wieder betont). Heute findet sich die Menschheit mit einer neuen Realität konfrontiert, die Göpel kurz und treffend so beschreibt: "Während der Menschheit lange sehr viel Planet für wenig Mensch gegenüberstand, gibt es heute für immer mehr Menschen immer weniger Planet."
Es liegt also auf der Hand, dass Fragen der Gerechtigkeit grundlegend sind. Die ökologische und die soziale Frage „gehören zusammen und lassen sich nur miteinander lösen. Für diese neue Art der Gerechtigkeit müssen wir ein paar heilige Kühe der Wachstumserzählung schlachten und andere Wege gehen.“
Denn das Festhalten am Dogma vom beständig notwendigen Wirtschaftswachstum treibt die Ausbeutung des Planeten voran. Das Streben nach Wachstum ist häufig der Grund für Planetenzerstörung. Dazu kommt: Unser Konsumverhalten ist nur durch „Externalisierung des Kosten“ möglich.
Das heißt, dass die Folgekosten für die Umwelt, die bei der Produktion, Benutzung und Entsorgung vieler Konsumgüter anfallen, im tatsächlichen Preis nicht abgebildet sind, sondern anderen aufgehalst werden: etwa ärmeren Ländern, die sich nicht mit viel Geld gegen die Folgen des Klimawandels wappnen können, oder schlicht den nachfolgenden Generationen!
Eine weitere „heilige Kuh“ des derzeitigen Wirtschaftsdenkens besagt, dass der Staat sich tunlichst nicht reglementierend einmischen sollte, der Markt würde jedes Problem von alleine lösen. An prägnanten Beispielen erläutert Göpel, dass dem nicht so ist, im Gegenteil: „Der Staat ist nicht immer der, der Freiheiten beschneidet, sehr oft ermöglichst er sie erst.“
Dieses Buch ist immens wichtig und es kommt gerade zur rechten Zeit – mit der Art, wie die Autorin schwierige Zusammenhänge nachvollziehbar erklärt, wie sie ungeschönt und ungeniert die Dinge beim Namen nennt („Schadschöpfung“) und gleichzeitig positive Ansätze, die es schon gibt, aufzeigt und Perspektiven für eine neue Art des Wirtschaftens eröffnet.
Nicht zuletzt finden sich am Ende des Buches viele wertvolle Hinweise auf verwandte Denkanstöße, Links zu Initiativen und Vorschläge für ein verändertes Alltagsverhalten.
Maja Göpel: Unsere Welt neu denken. Eine Einladung. Ullstein-Verlag 2020, 208 Seiten.
Besprechung vom Juni 2020