Monika Maron : Animal triste

Mit voller Wucht
Monika Maron erzählt von der anarchischen Gewalt der Liebe

Eigentlich geht es in Monika Marons Roman „Animal triste“ um nichts als die Liebe: um die Bedingungen der Liebe, wodurch sie erwacht, wie sie den Menschen verändert, aus seinen Befangenheiten befreit, um ihre anarchische Gewalt.

Wie ein großer innerer Monolog entfaltet sich der Lauf der Erzählung, und dieser unmittelbare Stil trifft den Leser (oder vermutlich eher die Leserin!) mit voller Wucht. Quasi nebenher lässt die Ich-Erzählerin ihre Vergangenheit Revue passieren, nämlich ihr Leben in der „seltsamen Zeit“, wie 40 Jahre DDR-Existenz bezeichnet werden, hauptsächlich aber die Zeit des Zusammenseins mit ihrem Geliebten, und voller Ratlosigkeit sucht sie nach Gründen, warum diese Affäre zu Ende ging.

Vordergründig ist es absichtslose Reflexion, in die der Erzählfortschritt kunstvoll verwoben ist. Und so erfährt man nach und nach, wie es zu der Begegnung zwischen der ostdeutschen Paläontologin und dem westdeutschen Naturwissenschaftler kam, dem schicksalhaften Zusammentreffen vor dem riesigen, einzigartigen Skelett eines Brachiosaurus im Ostberliner Naturkundemuseum, im Sommer 1990.

Die Frau ist im doppelten Sinne aus ihrem bisherigen Leben gefallen. Zum einen ist die „seltsame Zeit“ zu Ende, was sowohl unerhörte Freiheiten beschert als auch zu Verunsicherungen führt. Zum andern ist sie unverhofft der Liebe ihres Lebens begegnet – aber das Glück währt nicht ewig. Eines Abends „ist er gegangen und kam nicht mehr zurück“.

Das alles ist lange, lange her. „Damals, vor fünfzig oder sechzig oder vierzig Jahren….“ So lautet eine immer wiederkehrende Floskel der Ich-Erzählerin, die sich auf gefühlte hundert oder neunzig Jahre schätzt, vielleicht auch jünger. Soll heißen: Es war einmal, und es ist unvorstellbar weit weg.

Fast zwanghaft versucht die verlassene Frau sich zu erinnern, erinnernd zu ergründen, zu hinterfragen, und gleichzeitig möchte sie die Liebe festhalten, die kurze Zeit der Seligkeit in Ewigkeit verwandeln. In ihre Einsamkeit und ihre obsessive Rückschau fühlt sie sich eingehüllt wie in die Umarmung ihres Geliebten.

„Man kann im Leben nichts versäumen als die Liebe.“ Diese Erkenntnis ist die Quintessenz aus der radikalen Veränderung, der sich die Frau durch ihre Begegnung mit der Freiheit und der Liebe unterworfen fühlt, und aus der sie nicht wieder zurückfindet in ihr früheres oder in ein irgendwie „normales“ Leben.

Die Überlegungen, die Monika Maron ihre Erzählerin anstellen lässt, sind tiefgründig und klug, gekleidet in eine sehr präzise, nuancenreiche Sprache. Was dem Roman darüber hinaus intelligenten Unterhaltungswert verleiht, sind Abschweifungen nach hierhin und dorthin, zur Kindheit in der Nachkriegszeit, zu den Lebensläufen Bekannter, zu Beobachtungen über die Zeit kurz nach dem Fall der Mauer.

All diese lakonisch erzählten Exkurse dienen natürlich der Suche nach Erklärungen, aber auch als Folie, vor der sich das eigene Erleben umso plastischer abhebt. Die Geschichte dieser Liebe, die sich an keine Bedingungen hält und keine Rücksichten kennt, gewinnt durch die Verknüpfung mit zeithistorischen Umwälzungen große Eindringlichkeit.

 

Monika Maron: Animal triste. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt 1996.
Fischer Taschenbuch Nr. 13933. 239 Seiten.

Besprechung vom Mai 2006

Sabine Skudlik