Per Olov Enquist : Der Besuch des Leibarztes

Leidenschaft, Macht und Intrige
Per Olov Enquist über den Aufklärer Struensee

In seinem historischen Roman „Der Besuch des Leibarztes“ berichtet der schwedische Erfolgsschriftsteller Per Olov Enquist von der vier Jahre währenden Zeit im kleinen Königreich Dänemark (1768-1772), während der sich beinahe eine unblutige Revolution ereignet hätte, zwei Jahrzehnte bevor die Revolution in Frankreich historische Wirklichkeit mit brutalen Ausmaßen wird.

Dänemark ist zu dieser Zeit einem absolutistisch regierenden Herrscherhaus unterworfen. Freiheit und Bürgerrechte für die Untertanen spielen sowieso keine Rolle, aber auch der Hof selbst ist ein einziger Sumpf an Intrige und Hurerei. Der junge, noch kindliche König Christian VII ist nicht in der Lage, mit fester Hand durchzugreifen. Er wurde von frühester Kindheit an durch drakonische Erziehungsmaßnahmen verängstigt, seiner guten Anlagen beraubt und in seinem Willen gebrochen. Wohlmeinende Erzieher wurden frühzeitig aus seinem Umfeld entfernt, und so lebt der Heranachsende vollkommen orientierungslos zwischen Wahn und Wirklichkeit.

Der deutsche Arzt Johann Friedrich Struensee wird dem dänischen König als Leibarzt empfohlen, das heißt vielmehr, er wird von aufklärerischen Kreisen eingeschleust, um mit modernem Gedankengut das Machtvakuum im dänischen Königshaus aufzufüllen und die politischen Strukturen zu unterwandern.

Struensee aber ist ein Zauderer, der mehr aus politisch korrektem Pflichtgefühl handelt denn aus eigenem Antrieb. Seinen Beruf als Arzt übt er jedoch mit Leidenschaft aus und ist dem verwirrten jungen Herrscher wohlgesonnen. „Er ist einer der empfindsamsten, begabtesten und hellhörigsten Menschen“, schreibt Struensee später. Der König spürt das Wohlwollen und schenkt seinem Leibarzt all sein Vertrauen, überträgt ihm de facto die Staatsgeschäfte, so dass sich Struensee unversehens einer unerhörten Machtfülle gegenüber sieht. Er beginnt eine Schreibtischrevolution und befördert per Dekret die Ideen der Aufklärung in die Realität: Meinungs- und Pressefreiheit, Abschaffung der Folter und der Leibeigenschaft, Reform der Schulwesens und vieles mehr.

Soweit folgt der Roman den überlieferten Fakten. Ebenfalls historisch belegt ist Struensees Verhältnis zur Frau des kindlichen Königs, Königin Caroline Mathilde, die als Prinzessin aus dem britischen Königshaus mit Christian verheiratet wurde, als sie selbst noch ein Mädchen von vierzehn Jahren war. Völlig vereinsamt in der fremden Umgebung, nicht einmal als Person mit Eigenschaften wahrgenommen, entwickelt sie sich dennoch zu einer instinktbegabten, selbstbewussten Frau. In der erotisch aufgeladenen Atmosphäre erwacht auch ihr sexuelles Verlangen, das beim König allerdings keine Erfüllung findet. Dafür bei dessen Leibarzt! (Wohl wegen der ausführlich geschilderten sexuellen Begegnungen wird der Roman im Rückseitentext als „ungemein frivol“ angepriesen. Das trifft die Sache m.E. nicht ganz. Gerade die Liebesszenen sind überaus poetisch, fast schon musikalisch anmutend, ohne jede vordergründige Effekthascherei.)

Die Kombination aus Neid erweckender politischer Machtfülle und der kaum verborgenen Liaison mit der attraktiven jungen Königin wird Struensee schließlich zum Verhängnis. Nach nur vier Jahren ist die später so genannte „Struensee-Zeit“ beendet. Durch ein geschickt eingefädeltes Komplott seines schärfsten Widersachers Guldberg wird Struensee entmachtet, einem Scheinprozess unterworfen und auf grausame Weise hingerichtet.

Man weiß als Leser von Anbeginn, wie die Geschichte ausgehen wird. Der Autor Enquist gibt sich über weite Strecken als nüchtern berichtender Chronist, der nur Fakten wiedergibt und mit reichlich historischem Material belegt. Seinen eigenartigen Sog entwickelt der Roman aus der Art, wie psychologische Motive in der gleichen nüchtern protokollierenden Art berichtet werden wie andere Begebenheiten. Unmerklich gleitet die Handlung von der Darstellung äußerlicher Zeremonien beispielsweise zur Innenschau der beteiligten Personen.

Hier erweist sich Enquist als großer Erzähler. Denn er begleitet seine Protagonisten mit Respekt, Einfühlung und Nachsicht. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, als ob der Autor ihnen freien Raum für ihre Entwicklung lassen würde. Dabei ist es ja so, dass er den vorgegebenen historischen Tatsachen, dieser reichlich abwegigen, geradezu filmreifen Geschichte, ihre Psycho-Logik erst einverleiben muss.

Ich habe dieses Buch nicht an einem Stück „verschlungen“, sondern die Lektüre immer wieder zugunsten anderer Texte unterbrochen. Das spricht nicht gegen den Roman. Im Gegenteil, die Tatsache, dass ich das Buch schließlich doch fertig gelesen habe, zeigt, dass es einen sehr eigenwilligen Reiz ausübt, dem man sich am Ende kaum entziehen kann.

 

Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes. Roman. (schwedisches Original 1999).
Carl Hanser Verlag München Wien 2001. Fischer-Tb Bd. 15404, 2003. 371 Seiten

Besprechung vom Januar 2005

Sabine Skudlik