Peter Härtling : Hubert oder Die Rückkehr nach Casablanca | Leben lernen
Peter Härtling zum 70. Geburtstag
Immer noch aktuell: „Hubert oder Die Rückkehr nach Casablanca“
Am morgigen Donnerstag, dem 13. November [2003], feiert er seinen 70. Geburtstag: Peter Härtling, einer der renommiertesten deutschen Autoren der Gegenwart, der über Jahrzehnte hinweg nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Redakteur, Lektor und Verlagsleiter das literarische Leben der Bundesrepublik mitbestimmt hat. Als Lyriker, Romancier und auch als Kinderbuchautor hat Härtling, vielfach preisgekrönt, gleichermaßen Erfolg. Im Frühjahr dieses Jahres wurde er für sein Lebenswerk mit dem „Deutschen Bücherpreis“ ausgezeichnet.
Härtlings Roman „Hubert oder Die Rückkehr nach Casablanca“ erschien vor einem Vierteljahrhundert. Dieses Werk habe ich jetzt erneut gelesen und als immer noch spannend und verblüffend aktuell empfunden. Die Titelfigur, Jahrgang 1923, ist der missachtete Sohn eines SS-Offiziers, der früh lernt, sich zu ducken vor den Schlägen des Vaters und sich zu wappnen gegen dessen Verachtung; der eine Überlebensstrategie entwickelt gegen die Widrigkeiten seiner Umgebung, indem er sich soweit anpasst wie nötig und sich soviel innere Freiheit behält wie möglich. In diesen Nischen der Unauffälligkeit kann er seinen Fantasien nachhängen.
Natürlich kann man die Biografie dieses Hubert Windisch als typisch deutschen Lebensweg, gezeichnet vom dominierenden Vorzeichen des Dritten Reichs, lesen. Die Psychologie dieses Antihelden bliebe aber auch dann schlüssig, wenn man ihn eine ganze Generation jünger machen würde. Auch ein späterer Hubert wäre einer, dessen Leben unter dem Diktat äußerlicher Anpassung immer wieder von plötzlichen Akten eruptiven Aufbegehrens durcheinander geschüttelt wird; einer, der die Demütigungen, die physische und psychische Gewalt, die er in seiner Kindheit erfahren hat, auch als erwachsener Erfolgsmensch nie ganz los wird; einer, der dennoch seinen ureigensten Standort - fast unvermutet - immer wieder findet.
Hubert entdeckt sein Schlupfloch aus dem als quälend empfundenen Alltag im Dunkel eines Kinosaals; aber die Welt seiner Helden ist keine Gegenwelt, in die er hin und wieder einen Ausflug macht: nein, er vermag es, sich die Attitude seiner Heroen vollkommen anzuverwandeln. Er geht auf in ihrer Art, sich zu bewegen, sich zu kleiden und zu sprechen; er entdeckt quasi eine zweite Natur, die mehr und mehr zu seiner ureigensten wird. Wenn er Humphrey Bogart in seinen klassisch gewordenen Rollen sieht, dann ist es, als träfe er sein alter ego. „Du spielst dir dauernd etwas vor,“ wirft eine seiner Lebensgefährtinnen Hubert vor. Aber es ist nicht nur ein Rollenspiel. „Er ... hatte sich nicht verändert. Er war zwanzig Jahre nicht er selbst gewesen. Vielleicht gelang es ihm jetzt, sich zu fassen, zu spüren, aus sich selbst zu handeln.“
Peter Härtling schreibt in einer schnurgeraden Sprache, als gäbe es nichts einfacheres, als komplizierte innere Vorgänge sichtbar zu machen. Manchmal fühlt sich die Lektüre selbst an wie ein guter Kinofilm: man findet sich in der Logik dieser Geschichte mühelos zurecht, die Bilder, die Töne, die Story (die manchmal zum Lachen reizt und dann wieder zu Tränen rührt) - alles fügt sich in ein harmonisches Ganzes. Der Kunstgriff, die deutsche und amerikanische Filmkunst nicht nur zu zitieren, sondern auch zum Gegenstand der Handlung zu machen, ist natürlich genial. Man verspürt das Bedürfnis, sich all die Filme und ihre Helden nochmal anzusehen: angefangen bei Heinz Rühmann als „Quax, der Bruchpilot“ bis hin zu Humphrey Bogart in „Casablanca“!
Peter Härtlings Erinnerungen „Leben lernen“ erschienen erst vor wenigen Wochen. Und hier lernt man unvermutet einige reale Namensgeber für die Figuren im „Hubert“-Roman kennen, glaubt, Situationen, die Härtling erinnert, als Schlüsselszenen zu erkennen. Ein schönes Spiel! Unabhängig davon lohnt es sich auf jeden Fall, diese Memoiren zu lesen. Härtlings innerer und äußerer Werdegang, sein Kontakt zu zahllosen politischen und geistigen Größen (manchmal wird die Vielzahl der Namen fast zu üppig) vermögen zu fesseln. Beeindruckend ist darüber hinaus die Redlichkeit, mit der dieser große Erzähler seine Perspektive immer wieder überprüft, sich quasi selbst beim Erzählen zusieht und die Vielzahl der sprechenden „Ichs“ immer wieder beim Namen nennt.
Am Ende möchte man sich all seine Bücher einverleiben, z.B. die kunstvoll komponierten Musiker-Romane über Schubert oder Schumann oder die klugen Künstlerbiografien über Hölderlin und E.T.A. Hoffmann. Und welches Kompliment kann für einen Schriftsteller größer sein, als dass die Früchte seiner langen Autorenkarriere Lust machen aufs Lesen?
Peter Härtling: Hubert oder Die Rückkehr nach Casablanca. Roman. (erstmals ersch. 1978) dtv Bd. 12439. 317 Seiten.
Peter Härtling: Leben lernen. Erinnerungen. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003. 378 Seiten.
Besprechung vom November 2003