Peter Härtling : Schubert
„Dichten“ mit Schubert
Ein rundum gelungenes Werk, wo sich Musik und Literatur gegenseitig bedingen, durchdringen und befruchten, ist Peter Härtlings Roman „Schubert“.
Der Autor, der mehrere seiner Romane romantischen Künstlernaturen gewidmet hat, zeichnet in diesem Buch aus dem Jahr 1995 den Lebensweg des Komponisten Franz Schubert nach, der nur 31 Jahre alt wurde und in dieser Zeit eine Fülle an Klavier-, Kammer- und symphonischer Musik schrieb, vor allem aber Hunderte von Liedern.
Sein Lebensweg wurde schon kurz nach Schuberts Tod in etlichen Erinnerungsschriften von Freunden und Weggefährten nachgezeichnet, viele Briefe von Zeitzeugen sind erhalten, kurzum: es gibt eine facettenreiche Sammlung an biografisch verwertbarem Material. Aber Härtling schreibt eben nicht „nur“ eine Biografie - gleichwohl er die Quellen natürlich nutzt -, sondern er zeichnet ein sehr eigenwillig gefärbtes Charakterbild des Komponisten, in dem er, in der Figur des „Wanderers“, durchaus einen Wesensverwandten erkennt.
Zwölf “Moments musicaux“ sind unter die zwanzig Kapitel des „Romans“ gemischt. Das „Moment musical“, eine unter den romantischen Komponisten beliebte musikalische Gattung, wird bei Härtling zu literarischem Leben erweckt. Gerade in diesen kurzen Abschnitten wirft er ein bezeichnendes Schlaglicht auf seinen (Anti-)Helden. Manchmal sind es traumhafte Szenen, oft ist es die knappe Beschreibung zuverlässig verbürgter Begebenheiten, die genau das an Schuberts Wesen deutlich werden lassen, worauf es Härtling ankommt. Schubert, der Gesellige, der mit und von seinen Freunden lebt, und der dennoch mitten unter ihnen sehr einsam sein kann. Schubert, der Familienmensch, der, nach eigener Auskunft, „voll unendlicher Liebe für die (ist), welche sie verschmähten“. Schubert, der Heitere, dessen Heiterkeit immer verwoben ist mit einem Zug „tiefer Melancholie“…
Härtling entwirft ein lebendiges Bild der verschiedenen Seiten Wiens, die Schubert prägten. Das Leben in den verschiedenen Schulhäusern, in denen der Heranwachsende, Sohn eines Lehrers, in oft beengten Verhältnissen lebt. Das Leben im k.u.k. Konvikt, in dem der Sängerknabe seine musikalische und gymnasiale Ausbildung erhält. Sein Lehrer Salieri wird ihm zum Vermittler der großen Vorbilder Mozart und besonders Beethoven. Das gesellige Leben im Freundeskreis, in dem man debattiert, trinkt, feiert und den Künsten frönt. Das vornehme Leben in den Salons des gehobenen Bürgertums und des Adels, wo man Schubert hofiert, sich mit ihm schmückt, und von wo aus seine unvergleichliche Kunst bekannt wird. Der Autor erfindet Szenen, wie sie sich abgespielt haben könnten. Und er legt Rechenschaft darüber ab, wo seine Fantasie sich einen bestimmten Schubert zurechtdenkt und wo er sich auf das Zeugnis anderer berufen kann.
Härtling, der in jungen, journalistischen Jahren auch Musikkritiken geschrieben hat, ist ein profunder Kenner von Schuberts Musik. Was aber viel wichtiger ist: Er ist ein leidenschaftlicher Liebhaber dieser Musik. Selbst ein Lyriker von Rang, merkt man Härtling die Faszination an, die Schuberts Art, Gedichte fast schlafwandlerisch in Lieder umzuwandeln, auf ihn ausübt. Immer wieder wurde berichtet, von welch entscheidender Bedeutung es für Schubert war, ob ihn ein Text „ansprang“. Als er einmal wegen eines Liedes besonders gerühmt wurde, sagte er: „Ja, das ist halt ein gutes Gedicht; - da fällt einem sogleich etwas Gescheites ein; - die Melodien strömen herzu, daß es eine wahre Freude ist.“ Schubert sprach auch selten davon, dass er komponiere. Seine Tätigkeit bezeichnete er selbst als „dichten“.
Härtling beschreibt nun diesen dichterischen Prozess sehr einfühlsam und in einer geradezu musikalisch anmutenden Sprache. So ist seine Schubert-Hommage ein schönes Beispiel dafür, wie Worte Musik zum Leben erwecken und diese Musik dann wiederum in Worte fließt.
Peter Härtling: Schubert. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995.
Als Taschenbuch bei dtv. 256 Seiten.
Besprechung vom Mai 2004