Reinhard Kaiser : Königskinder
Unmögliche Liebe in schwieriger Zeit
Rudolf Kaufmann – ein deutscher Jude, aus Königsberg stammend – ist ein angesehener Geologe. Seine Doktorarbeit, in Fachkreisen positiv aufgenommen, erscheint unter dem Datum des 1. Februar 1933, zwei Tage, nachdem Hitler zum Reichskanzler gewählt worden ist. Seinen Posten an der Universität Greifswald muss der Wissenschaftler, seiner jüdischen Herkunft wegen, kurz danach aufgeben. Von da an schlägt er sich mit kurzfristigen Anstellungen durch, zunächst in Kopenhagen, danach in Bologna. Dort erwartet er im Sommer 1935 Besuch von seinem älteren Bruder und dessen Frau, die ihre „liebste Reisebekanntschaft“, die junge Schwedin Ingeborg Magnusson, mitbringen. Da ist es um Rudolf geschehen.
Wie der Blitz scheint die Liebe bei ihm und Inge einzuschlagen. Sie verbringen zwei Tage in Italien zusammen, und bleiben fortan in brieflichem Kontakt. Ein Leben zu zweit wird ihre größte Sehnsucht. Noch zweimal sehen sie sich, einmal fünf Tage in Stockholm, später wieder ein paar Tage in Thüringen, wohin es Rudolf mittlerweile als Turnlehrer verschlagen hat. Aber ihrem großen Wunsch ist keine Zukunft beschieden. Die Lebensbedingungen werden für Rudolf immer schwieriger. Mit Gelegenheitsjobs schlägt er sich durch, muss schließlich für drei Jahre ins Zuchthaus, wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz „zum Schutze des Blutes und der deutschen Ehre“, kommt frei und erhält die Gelegenheit zur Emigration, als mit dem 1. September 1939 der deutsche Überfall auf Polen dazwischenkommt und er nicht mehr reisen kann.
Auf abenteuerliche Weise gelingt ihm schließlich doch die Flucht nach Litauen, wo er sogar noch einmal Arbeit als Geologe findet. Aber als die Deutschen ab Juni 1941 mit dem Überfall auf Russland beginnen und in hinter den Wehrmachtverbänden die Einsatzgruppen der SS die systematische Ausrottung der dort lebenden Juden in Angriff nehmen, gehört auch Rudolf Kaufmann zu den Opfern.
Die Liebesgeschichte mit Inge hat er selbst allerdings schon ein Jahr zuvor beendet. Vier Jahre lang haben sie nach ihrer letzten Begegnung versucht, die Hoffnung auf ein gemeinsames Leben allein aus ihrem Briefwechsel zu nähren. Aber jetzt verlässt Kaufmann, der oft einen unerschütterlichen Optimismus verbreitet hat, alle Hoffnung. „Es fehlt mir so sehr der Mut für unsere weitere Zukunft. Wir beide haben doch ein großes Pech…“ schreibt er resigniert. Und: „Wäre es nicht besser, wir würden nicht mehr ganz so fest aneinander hängen, um uns nicht quälen zu müssen.“ Er meint, wenn sie nicht mehr gebunden seien und offen würden für neue Partnerschaften, dass dann ihrer beider Leben weniger einsam und leichter zu ertragen sei.
Diese Geschichte, die hier nur in Andeutungen skizziert ist, hat sich tatsächlich zugetragen. Die Zufälle, die dazu geführt haben, dass sie schließlich aufgeschrieben wurde, sind fast so unglaublich wie die Geschichte selbst. Der Autor Reinhard Kaiser entdeckte nämlich einige Briefe von Rudolf Kaufmann an seine schwedische Liebe bei einer Briefmarkenauktion. In etwa dreißig Umschlägen, frankiert mit Briefmarken von einigem Sammlerwert, alle vom gleichen Absender an die immer gleiche Empfängerin, steckten noch die eng beschriebenen Briefbögen. Bei der Besichtigung vor der Auktion war nicht genügend Zeit, sie genau zu lesen. Aber das Interesse war geweckt, und so erstand Kaiser die Briefe, um die Fährte dieser Liebesgeschichte aufzunehmen.
Durch Recherchen, erneute Zufallsfunde und durch Befragung von noch lebenden Angehörigen konnte er sie weitgehend rekonstruieren. Er fand weitere Schreiben von Kaufmann an Magnusson. Die Briefe von ihr an ihn sind leider allesamt verschollen oder verloren gegangen. Aber die Texte von Rudolf an Inge, die in dem Buch in Auszügen abgedruckt und durch erzählende und erläuternde Passagen verbunden werden, sind allein schon anrührend genug. Quasi nebenher wird das Lebensgefühl eines deutschen Juden in der Zeit des Dritten Reichs lebendig. Zeuge zu sein, wie sein Radius immer enger und die Situation für ihn immer bedrohlicher wird und wie er gleichzeitig utopische Pläne schmiedet für ein Leben in der Ferne, zusammen mit der geliebten Frau, das ist ergreifend und in seiner Vergeblichkeit geradezu herzzerreißend.
Das alte deutsche Gedicht „Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb / Sie konnten zusammen nicht kommen, das Wasser war viel zu tief“ zitiert Rudolf schon in einem Brief vom August 1935, kurz nach ihrer ersten Begegnung. Er bezieht es auf widrige Reisebedingungen, die ein baldiges Wiedersehen verhindern. Dass es als Parabel für die Unmöglichkeit ihrer Liebe in schwieriger Zeit zu gelten hat, kann er zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.
Reinhard Kaiser: Königskinder. Eine wahre Liebe. Orig. Schöffling & Co., Frankfurt 1996. als Taschenbuch bei BvT. 126 Seiten.
Besprechung vom April 2011