Robert Seethaler : Der letzte Satz
Die letzte Reise Gustav Mahlers
Die Bücher von Robert Seethaler kreisen zumeist ums große Ganze: um Leben und Sterben. So in seinem Bestseller „Ein ganzes Leben“ (s. Besprechung vom Mai 2016) und in seinem Werk „Das Feld“, wo er einige Verstorbene einer fiktiven Kleinstadt über das Leben im allgemeinen und das ihrige im Besonderen räsonieren lässt. In seinem neuesten Roman „Der letzte Satz“, mit dem Seethaler auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis stand, geht es um Gustav Mahler.
Gustav Mahler galt zu seiner Zeit als der berühmteste lebende Musiker und weltbeste Dirigent. Als Chef der Wiener Hofoper (1897-1907) hatte er die Oper von einer statischen Veranstaltung zu einem veritablen Musiktheater verändert, eine regelrechte Revolution im konservativen Wien. Heute tritt uns Gustav Mahler vor allem als Komponist zwischen Spätromantik und Moderne entgegen.
Er und seine Frau Alma waren ein glamouröses Paar, aber die Ehe blieb nicht ohne Konflikte. Schrecklich war für beide der Verlust der älteren Tochter Maria, die noch vor ihrem 5. Geburtstag im Jahr 1907 starb.
Gustav Mahler war ein Künstler, der an zwei Enden brannte und keinerlei Rücksicht auf seine zarte Konstitution nahm. Er litt an einem schwachen Herzen, vermutlich ausgelöst durch wiederkehrende, nie gründlich auskurierte Mandelentzündungen. Oft hatten ihn die Ärzte gewarnt, er müsse langsamer tun, sich Pausen gönnen. Aber zu seinem immensen Arbeitspensum kam noch eine ausufernde Reisetätigkeit.
Seine späteren Engagements ab 1907 führten Mahler an die „Met“ in New York und zu den New Yorker Philharmonikern. Seinen letzten großen Triumph in Europa erlebte er bei der Uraufführung seiner 8. Symphonie in München 1910. Mehrmals überquerte Familie Mahler in dieser Zeit den Atlantik.
Im Frühjahr 1911 litt Mahler bereits schwer an einer bakteriellen Herzkrankheit. Wieder einmal verließ er New York mit dem Schiff Richtung Europa, wohl ahnend, dass dies seine letzte Reise sein würde. In der Tat starb er am 18. Mai 1911 in Wien.
Robert Seethaler schreibt in seinem Roman „Der letzte Satz“ über diese Reise, die zur Metapher für Mahlers Lebensreise wird. Der Komponist sitzt meist auf dem Deck, in Schals und Decken gehüllt, und blickt aufs graue, eintönige Meer hinaus. Ein Schiffsjunge, der nicht so genau weiß, mit welcher Art von Berühmtheit er es eigentlich zu tun hat, ist offenbar nur für ihn abgestellt.
„Was ist das für Musik, die Sie machen? Erzählen Sie mir etwas darüber“ fragt der Junge. „Nein. Man kann über Musik nicht reden, es gibt keine Sprache dafür. Sobald Musik sich beschreiben lässt, ist sie schlecht“ lässt Seethaler den Komponisten antworten.
Viele kluge Autoren haben dennoch in gelehrten Analysen versucht, Mahlers Musik und den Menschen dahinter zu beschreiben. Seethaler gelingt in seinem schmalen Roman das eindringliche Porträt eines Künstlers, der in nur 50 Lebensjahren ein monumentales symphonisches Werk schuf und bei allem Ruhm nie an ein Ziel kam, nie aufhörte zu suchen.
Er lässt Mahler an Bord über sein Leben sinnieren und sich wichtige Ereignisse ins Gedächtnis rufen. Der Tod hatte immer eine Rolle in seinem Leben gespielt, vielleicht war dessen Präsenz sogar eine der Quellen, aus denen sich seine Schaffenskraft speiste. Aber hier auf dem Ozeandampfer, sich mit klammen Fingern an der Reling festhaltend, denkt Mahler: „Alles war voller Leben. Selbst der Tod war nur eine Idee der Lebenden. Solange man ihn sich vorstellen konnte, war er noch nicht da.“
Robert Seethaler: Der letzte Satz. Roman. Hanser Berlin 2020. 126 Seiten.
Besprechung vom September 2020