Saša Stanišić : Herkunft | Wie der Soldat das Grammofon repariert

Was ist „Herkunft“?

Saša Stanišić steht zum wiederholten Mal auf den Bestsellerlisten, und zwar völlig zu Recht. Derzeit mit seinem Werk „Herkunft“, für das er im vergangenen Herbst [2019] mit dem „Deutschen Buchpreis“ ausgezeichnet wurde. Quasi als Vorläuferwerk ist jedoch sein erster Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“ (erschienen 2006) anzusehen, der mit dem Chamisso-Preis 2008 ausgezeichnet wurde.

„Mit dem Adelbert-von-Chamisso-Preis ehrt die Robert Bosch Stiftung jährlich herausragende literarische Leistungen Deutsch schreibender Autorinnen und Autoren, deren Muttersprache oder kulturelle Herkunft nicht die deutsche ist.“ So die Bosch-Stiftung in der damaligen Pressemitteilung – und dies ist ein entscheidender Hinweis.

Stanišić wurde 1978 in bosnischen Višegrad geboren. Nach der Besetzung seiner Heimatstadt durch bosnisch-serbische Truppen flüchteten seine Eltern mit dem 14-jährigen Jungen nach Heidelberg. Dort besuchte Stanišić die internationale Gesamtschule, lernte Deutsch, entdeckte sein Talent und seine Leidenschaft fürs Schreiben, nicht zuletzt, weil er in dieser Hinsicht von einem Deutschlehrer gefördert und ermutigt wurde.

Wahrscheinlich kann niemand besser deutlich machen, was „Herkunft“ ausmacht, als ein Autor, dessen Biografie Brüche und Fremdheitserfahrungen aufweist, der sich insbesondere eine fremde Sprache aneignen musste und in dieser Aneignung ihre Besonderheiten entdeckt, der ihre unterschiedlichen Ausdrucksmöglichkeiten erkundet wie fremdes Gelände und ihre Schönheiten lieben lernt.

Der frühe Roman „Wie der Soldat das Grammofon reparierte“ erzählt, autobiografisch gefärbt, wie der Junge Aleksandar, aufgewachsen in Višegrad, den Balkankrieg erlebt. Großartig, wie hier durch die kindliche Weltsicht mit ihrem Blick fürs Detail, ihrer Fähigkeit zu staunen und ihrer Unvoreingenommenheit vom Krieg und seinen Schrecken erzählt wird, ohne diesen detailliert zu thematisieren. Das Buch hat viele rührende und gleichermaßen komische Momente. Die Flucht des Kindes mit seinen Eltern, die Ankunft in Deutschland und vor allem das Ankommen in der deutschen Sprache sind hier bereits Thema.

Das gilt noch mehr für „Herkunft“. Dieses Werk entzieht sich der Festlegung auf eine literarische Gattung (und deswegen legt sich der Verlag auch nicht fest - es steht keine Gattungsbezeichnung auf dem Cover). Es ist kein Roman, es ist keine Autobiografie, es ist kein Sachbuch – aber es ist ein Meisterwerk, in dem scheinbar zufällig Erinnerungen, authentisch erzählte Episoden, Beobachtungen und kleine sprachliche Kunststücke assoziativ miteinander verbunden sind. Die Leser:innen dürfen miterleben, wie Deutschland, repräsentiert nicht zuletzt durch die Sachbearbeiter:innen in den jeweiligen Ausländerämtern, den Autor schließlich zögernd willkommen heißt.

Scheinbar nebenher werden viele existenzielle Fragen berührt: was „Heimat“ überhaupt ist, wie Integration funktioniert, wie man in einer fremden Sprache ankommt, und eben auch, was „Herkunft“ bedeutet. Antworten darauf gibt es ziemlich viele in diesem Buch, zum Beispiel: „Herkunft sind die süß-bitteren Zufälle, die uns hierhin, dorthin getragen haben. Sie ist Zugehörigkeit, zu der man nichts beigesteuert hat.“

Saša Stanišić scheint die Kunst des Erzählens in die Wiege gelegt worden zu sein. Geschichten erfinden, fantastische Umwege gehen und dennoch wieder in den Handlungsfluss einmünden, Menschen liebevoll porträtieren, reale Erlebnisse wie gut erfunden zeigen – all dies wirkt bei ihm spielerisch leicht. Mit Stanišić ist die deutsche Literatur um eine unverwechselbare Stimme reicher geworden, und um einen Schriftsteller, bei dem sich Beobachtungsgabe, Sprachsinn und Menschlichkeit auf glücklichste verbinden!

 

Saša Stanišić: Wie der Soldat das Grammofon repariert. Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2006; als TB bei btb. 320 Seiten.

Saša Stanišić: Herkunft. Luchterhand Literaturverlag, München 2019. 368 Seiten.

Besprechung vom Februar 2020

Sabine Skudlik