Siri Hustvedt : Der Sommer ohne Männer | Leben, Denken, Schauen. Essays

Siri Hustvedt: Intellektualität als sinnliches Vergnügen
Als Romanschriftstellerin wie als Essayistin gleichermaßen begeisternd

Die berühmte amerikanische Autorin Siri Hustvedt ist derzeit in aller Munde, weil erst vor kurzen [2019] ihr neuer Roman „Damals“ und gleichzeitig ihr neuer Essay-Band „Eine Frau schaut auf Männer, die auf Frauen schauen“ erschienen sind.

Ich möchte an dieser Stelle zunächst ihren schon etwas älteren Roman „Der Sommer ohne Männer“ besprechen. Er geht von einer fast klischeehaften Situation aus: Der Ehemann der Ich-Erzählerin Mia möchte eine Ehe-Pause: der Grund für die Pause ist eine sehr viel jüngere, attraktive Kollegin des erfolgreichen Neurowissenschaftlers.

Mia, Dichterin und Lyrik-Dozentin an der Columbia-Universität, dreht auf der Stelle durch und wird eineinhalb Wochen lang mit der Diagnose „akute vorübergehende psychotische Störung“ in der „Klapsmühle“ behandelt. „Wenn es länger als einen Monat anhält, braucht man ein anderes Etikett“ stellt die Erzählerin lakonisch fest.

Im Anschluss daran beschließt Mia, ihre New Yorker Wohnung vorübergehend zu verlassen und den Sommer über ein Häuschen zu mieten im Ort ihrer Kindheit in Minnesota, wo ihre fast 90-jährige Mutter in einer Seniorenresidenz lebt. Die alte Dame und ihre ebenfalls hochbetagten Freundinnen – Mia nennt sie bei sich die „fünf Schwäne“ – wird sie in dieser Zeit häufig besuchen und interessante Begegnungen haben.

Außerdem gibt sie einen Sommerkurs für Lyrik im örtlichen Kulturforum, der von sieben pubertierenden Mädchen besucht wird. Ab und zu erhält Mia Besuch von ihrer Schwester oder ihrer Tochter und freundet sich mit ihrer temporären Nachbarin an. Es ist also wirklich ein „Sommer ohne Männer“!

Ein fast ausschließlich weibliches Personal bevölkert diesen Roman und die Handlung dreht sich nur darum, wie Mia die erzwungene „Pause“ und die dadurch ausgelöste Krise bewältigt – mithilfe des regelmäßigen telefonischen Austauschs mit ihrer Therapeutin Dr. S., in der Interaktion mit den sehr alten und sehr jungen Frauen bzw. Mädchen, mit denen Mia in dem Provinznest zu tun bekommt und vor allem durch die vielgestaltige Betrachtung ihres eigenen bisherigen Lebens.

Klingt langweilig? Ist es nicht! Die großen und kleinen Krisen, die Mias Mit-Frauen in diesen Sommerwochen zu bewältigen haben, helfen der Dichterin, Abstand zu ihrem eigenen Ehe-Drama zu bekommen. Mias intellektuelle und emotionale Kompetenz – beide gleichermaßen wichtig – bringen nicht nur sie selbst zurück auf ein stabiles Fundament, sondern sind auch Unterstützung für die „fünf Schwäne“ (von denen am Ende nur noch drei da sind), genauso wie für die sieben Lyrik-Mädchen, die mit ihren eigenen Adoleszenz-Problemen konfrontiert sind.

All dies wird in kultivierter, gleichzeitig entspannter Prosa vorgetragen, nicht zuletzt, wenn intellektuelle Höhenflüge der philosophisch gebildeten Lyrik-Dozentin Mia für ein inneres Streitgespräch mit der gekränkten Ehefrau Mia herhalten müssen. Bildung ist für die Ich-Erzählerin immer auch ein sinnliches Vergnügen.

Das gilt genauso für die Autorin Siri Hustvedt, die natürlich nicht mir ihrer Romanheldin Mia zu verwechseln ist. (Genauso wenig wie mit der Protagonistin in ihrem neuesten Werk „Damals“, dessen Ich-Erzählerin S.H. heißt.)

Über den Unterschied zwischen Roman und Autobiografie hat Hustvedt in einem ihrer scharfsinnigen Essays geschrieben: „Überall in meinen Romanwerken habe ich Sachen aus meinem Leben und dem Leben anderer entlehnt und sie neu imaginiert, kombiniert, kondensiert und eingesetzt, aber das ist weit davon entfernt, meine Lebensgeschichte zu erzählen.“

In dezidiert autobiografischen Werken hingegen löse der Autor oder die Autorin einen Nonfiction-Vertrag mit dem Leser ein, „der einfach bedeutet, nicht wissentlich zu lügen“. Und dennoch gibt es für Hustvedt auch eine Art Wahrheitsgebot für Romane: „Ich messe die Wahrheit meiner fiktiven Geschichte an irgendeiner inneren emotionalen Realität, die mit meinen Erinnerungen verknüpft ist.“

Die Wechselgestalt von Erinnerungen, das Ineinandergreifen von für wahr gehaltenen Gedächtnisinhalten und wahrhaftigen Fantasien sind sowieso ein Lieblingsthema von Siri Hustvedt, die neben ihrer Arbeit als Roman-Schriftstellerin zunehmend als Essayistin unterwegs ist, am liebsten im Grenzgebiet zwischen Natur- und Geisteswissenschaften.

Siri Hustvedts Essays sind keine trockenen theoretischen Abhandlungen. Essay heißt ja wörtlich übersetzt Versuch – und seine Form ist „elastisch und anpassungsfähig. Er macht Gebrauch von Geschichten wie von Argumenten. Er kann streng präzise vorgehen oder Abstecher auf überraschendes Terrain unternehmen. Seine Form wird ausschließlich von den Denkbewegungen des Schreibers bestimmt“.

Genau das macht die Lektüre von Hustvedts Essays ebenso interessant und spannend wie die ihrer Romane. Man kann dieser unglaublich klugen und auf unterschiedlichsten Gebieten belesenen Frau beim Denken und Assoziieren nachfolgen. Egal, um welchen Gegenstand es sich dabei handelt: für mich führen die „Denkbewegungen“ dieser Autorin immer zu einer unerwarteten Bereicherung.

Siri Hustvedt: Der Sommer ohne Männer. Roman. Rowohlt Verlag 2011. Als Hörbuch, gelesen von Eva Mattes, besonders empfehlenswert!

Siri Hustvedt: Leben, Denken, Schauen. Essays. Rowohlt Verlag 2014.

Besprechung vom Mai 2019

Sabine Skudlik