Uwe Timm : Rot

Rot wie Liebe und Revolution
Uwe Timm über das Nachwirken der 68er Jahre

„Rot“ ist ein bereits etwas älterer Roman des seit vielen Jahrzehnten erfolgreichen Autors Uwe Timm. Timm ist Jahrgang 1940. Seinen Helden in „Rot“ lässt er fünf Jahre jünger sein, gerade alt genug, um in den wilden Jahren der Studentenunruhen tatkräftig mitgemischt zu haben – wie auch der Autor. Ein waschechter 68er ist Thomas Linde – aber zur Handlungszeit des Romans, in den zu Ende gehenden 90er Jahren, hat er sich wie viele Weggenossen mit der einstmals bekämpften Gesellschaft arrangiert und seinen Platz in ihr gefunden: Seinen Lebensunterhalt verdient er als Jazzmusikkritiker einerseits und als Begräbnisredner andererseits.

Und hier, in beiden Branchen, wird er als wortmächtiger Autor durchaus erfolgreich. Aussagekräftig sowohl auf lebensfrohem musikalischen Gebiet wie auch an der Endstation Begräbnisfeier, wenn es darum geht, einem oder einer Verstorbenen, den/die er persönlich gar nicht kannte, nur mit den Informationen der Hinterbliebenen versorgt, einen würdevollen Abgang zu verschaffen, der dem/der Toten Ehre erweist und den lebenden Angehörigen Trost und Zuspruch gibt. Und offenbar erfüllt Linde diesen Anspruch äußerst geschickt. Die Gedanken, die er sich macht, die Reden, in denen die Biografien der Verstorbenen noch einmal beleuchtet werden, machen nicht den geringsten Reiz des Romans aus.

Der Hauptstrang der Handlung ist aber natürlich ein anderer. Seine 68er-Vergangenheit holt Linde ein, als er den Auftrag bekommt, die Grabrede für einen Mann zu halten, der, wie sich bald herausstellt, ein Kampfgefährte in revolutionären Angelegenheiten war. Nur, dass dieser nunmehr verstorbene Aschenbrenner nie vom tugendhaften Revolutionspfad abgekommen war, sondern die Flamme der gesellschaftsverändernden Energie immer noch in sich brennen ließ. Er hatte noch etwas vor, und dieses Geheimnis lüftet Linde nun, ob er will oder nicht. Muss er nun die Mission des alten Kämpfers erfüllen?

Zusätzlich kompliziert wird Lindes Gegenwart durch die Affäre mit der mehr als 20 Jahre jüngeren Lichtdesignerin Iris, die er ausgerechnet auf einer Beerdigung kennengelernt hat. Sie bewundert ihn, ist neugierig auf sein revolutionäres Vorleben, zieht Thomas, der schon in eine veritable Midlife crisis zu geraten drohte, ihrem viel jüngeren und durchaus erfolgreichen Lebensabschnittspartner vor und bringt Thomas dadurch ein wenig in Bedrängnis – auch wenn ihm die Affäre mit Iris, die fast eine Generation, sicher aber eine ganze Weltanschauung jünger ist, durchaus genießt.

Die Farbe Rot dient bei alledem nicht nur als wirkmächtiges Symbol sowohl für eine politische Gesinnung und revolutionäres Potential, sondern ebenso gut für die Kraft des Eros und die subversive Macht der Liebe. So gemütlich Thomas Linde sich sein Leben als Alt-68er auch eingerichtet hatte, so sehr wird er nun in seiner abgeklärten, philosophisch gut unterfütterten Gemütsruhe gestört.

Der Roman hat nach seinem Erscheinen 2001 ganz unterschiedliche Kritiken erhalten. Die einen lobten ihn euphorisch, die anderen würdigten zwar die handwerklich-literarische Qualität, fanden aber ansonsten, der Roman tauge kaum zur Aufarbeitung bundesrepublikanischer Vergangenheit.

Meines Erachtens sollte ein Roman unterhalten, wenn nicht gar fesseln, und kann nur gewinnen, wenn er darüber hinaus gesellschaftspolitisch relevante Fragen behandelt. Und das gelingt Uwe Timms „Rot“ in jeder Hinsicht. Deshalb ist die Lektüre auch 15 Jahre nach seinem Erscheinen noch lohnenswert.

 

Uwe Timm: Rot. Roman. (zuerst 2001). dtv TB 2003. 400 Seiten

Besprechung vom Mai 2016

 

Sabine Skudlik